dm – Ein Aufruf zum Bleiben in der »Alten Mitte«
5. November 2014 | von Ulrike Irrgang | Kategorie: WirtschaftOffener Brief an die Geschäftsführung der dm-drogerie markt GmbH + Co. KG
Sehr geehrter Herr Harsch, sehr geehrter Herr Werner,
getreu dem Satz: »wer aus eigener Initiative tätig wird und sich mit dem, was er tut, verbindet, handelt nachhaltig«, schreibe ich Ihnen in der Hoffnung, Gehör zu finden.
Ich habe – zusammen mit anderen Bürgern – ein dringliches Anliegen, was wir gerne mit einem Verantwortlichen der dm-Leitung besprechen würden. Es ist zudem ein Rat bzgl. des Standorts Fürth, hier nicht gegen eigene, hochgehaltene Grundsätze zu handeln und damit für treue dm-Kunden unglaubwürdig zu werden. dm hat besonders in engagierten, bildungsnahen Kreisen in Fürth – vor allem dank der guten Firmenphilosophie – ein hohes Ansehen und findet hier auch seine Kundschaft.
Ein großer Teil der engagierten Fürther hat das recht rigorose, undemokratische und wider den Denkmalschutz durchgezogene Bauvorhaben »Neue Mitte« in dieser Form abgelehnt. Die »Neue Mitte« steht in Fürth daher auch für Investment wider Bürgerbeteiligung, Stadtraum-Profit wider Versprechen und Denkmalschutz (Verlust des Festsaals!), und Konsummeile wider bestehende, gewachsene Strukturen.
Nicht die »Neue Mitte« als Idee ist verkehrt gewesen, sondern die Art & Weise der Umsetzung eines Bauvorhabens u.a. wider Denkmalschutz, Bürgerbefragung und ‑beteiligung. Damit ist die »Neue Mitte« nun zu einem schmerzlich-traurigen politischen Investoren-Mahnmal für aufgeklärte, mündige Bürger in Fürth geworden: Hier regiert das Recht des Stärkeren und des Geldes – und nicht Mensch & Bürger und seine Geschichte in Dialog und Teilhabe! Schade, Chance vertan. Die »Neue Mitte« wird kein Pilgerort für neue, zukunftsweisende Stadtkultur, sondern eine klotzartige, austauschbare Konsum-Kaaba, derer es viele auch schon andernorts gibt.
Die Umsetzungsweise »Neue Mitte« steht dem Unternehmen und Denken von dm, das den Menschen im Vordergrund sieht, welches bürgerschaftliches Engagement und Beteiligung willkommen heißt und das Nachhaltigkeit und Eigentümlichkeit schätzt, vom Grundsatz her entgegen. dm wird, wenn es seinen alten Standort zu Gunsten der »Neuen Mitte« komplett aufgibt, seine eigenen Werte stark hinterfragen müssen.
Durch das Bewahren des Standorts Schwabacher Straße könnte das Unternehmen dm, wenn es sich seiner selbst und seiner treuen Kunden bewusst ist, die Haupteinkaufsstraße stärken und damit das »Aussterben« der alten Geschäftsmeile verhindern. Es könnte hier glaubwürdiges Engagement beweisen und durch andere Formen von Geschäftserweiterung neue Strukturen auftun (z.B. zwei Filialen in der Schwabacher Straße, oder neue dm-Varianten (ich hätte Ideen!). Denn, was dm-Kunden gefällt ist nicht, dass der Markt besonders großräumig ist, sondern, dass er so übersichtlich, klar und menschennah den Kundenbedürfnissen entgegen kommt.
Würde dm seine eigenen Grundsätze hoch halten, dann kann der Umzug in die »Neue Mitte« in dieser Form eigentlich nicht geschehen. Und, wie heißt es so schön im dm-Kurzportrait: »Geisteshaltung führt zum Erfolg«; damit könnte – wenn dm seinen Ort lebendig hält – die Schwabacher Straße ggf. zur besseren »Neuen Mitte« avancieren. Vom städtebaulichen Verlauf und vom Engagement des Einzelhandels her, hätte die alte Geschäftsstraße auf jeden Fall das »Rückgrat« dazu. Und nebenbei stünde dm den kleinen neuen und kreativen Läden näher, die sich derzeit in den Seitengassen von Fürth ansiedeln und ihre Türen öffnen!
Es grüßt und hofft auf dms weise Standortentscheidung
M. Ulrike Irrgang
Dipl. Designerin (KISD)
Management Der Bogenhof
Leitung Jugendkunstschule Fürth/Franken e.V.
Anmerkung: Verlinkungen im Text wurden durch den Herausgeber zusätzlich eingefügt.
Pressespiegel: »Neue Mitte Fürth: Auch der Drogeriemarkt zieht nur um« (FN)
Als Mit-Herausgeber der Fürther Freiheit und v.a. als langjähriger Sprecher der Bürgerinitiative »Eine Bessere Mitte für Fürth« sehe ich mich genötigt, diesem Unsinn, den Sie, liebe Frau Irrgang, in Ihrem Schreiben bezüglich des »Einkaufsschwerpunktes Rudolf-Breitscheidstraße « oder auch »Neue Mitte« genannt, verzapfen, ganz energisch zu widersprechen. Nach Lesen Ihres Briefes muss ich leider auf völlige Unkenntnis der Sachlage bzw. der langen Entwicklungsgeschichte des Einkaufsschwerpunktes Ihrerseits schließen: Gerade der Prozeß zur Investorensuche gilt bundesweit als vorbildlich hinsichtlich der Einbeziehung einer kritischen Bürgerschaft nach dem Scheitern des Sonae Sierra-Projektes, eines nur »von oben« bzw. nur von der Verwaltung gesteuerten Planungsprozeßes. In anderen Kommunen wurden und werden wir um diesen neuen Weg, der eingeschlagen wurde, beneidet! Ein von beinahe allen Volkvertretern im Stadtrat beschlossenes Votum für das Projekt als »undemokratisch« zu bezeichnen, wirft ein bedenkliches Licht auf Ihr Demokratieverständnis.
Ihre Sorge, dass es aufgrund der Attraktivität des neuen Einkaufsschwerpunktes zu Leerständen, trading down-Effekten und Verödung von Erdgeschoß-Zonen kommt, teile ich dagegen durchaus. Die Stadtverwaltung, der Stadtrat, die Geschäftsleute, die Hausbesitzer und nicht zuletzt engagierte Bürger sind hier aufgefordert, kreativ zu werden und Konzepte zu entwickeln, um einer solchen Entwicklung konstruktiv entgegenzuwirken!
Sehr geehrter Herr Hornstein,
ich wollte dem tatsächlichen Engagement der Bürgerinitiative »Neue Mitte« und ihrer durchaus erzielten Erfolge in dem Prozess nicht zu nahe treten. Das war großartig! Ich war – wie gewiss manch einer – vom anfänglich kooperativ klingenden Prozess mit dem neuen Investor MIB noch voller Hofffnung.
In meinem Schreiben geht es aber um etwas, was dm für sein Unternehmen postuliert (Teilhabe. »Eigentümlichkeiten anerkennen, gemeinsam gestalten«, sowie »an das Bestehende anknüpfen und daraus das Zukünftige formen«), was sich dann letztlich in der Fürther »Neuen Mitte« leider nicht in dieser Weise eingelöst hat. Wenn Sie das anders sehen, dann ist es ihr Recht. Gerne zitiere ich aus dem Resümee der Bürgerinitiative »Neue Mitte«:
»Der Bürgerinitiative ging es von Anfang an um einen konstruktiven Dialog mit den Verantwortlichen der Stadt. In manchen Phasen kam es sogar zu einer institutionalisierten Zusammenarbeit. (...) Diese Form der Bürgerbeteiligung verdient Anerkennung und sollte als ausbaufähiges Modell für zukünftige Entscheidungsprozesse von großer öffentlicher Relevanz in Erinnerung behalten werden.«
»Dass die Vertreter der Bürgerinitiative bei Androhung hoher Strafgelder zum Schweigen über die Verhandlungen angehalten waren (...)setzte jedoch der Transparenz der Verfahren ebenso enge Grenzen wie der demokratischen Teilhabe. An entscheidenden Punkten des Verfahrens schenkten die Stadt und der Investor den engagierten Bürgerinnen und Bürgern gar kein Gehör. Besonders schmerzlich war, dass die Vorschläge der Bürgerinitiative für das Teilnehmerfeld des Architektenwettbewerbs und für die Zusammensetzung der Jury keine Beachtung fanden. Mit der Zuspitzung der Auseinandersetzung um den Erhalt des Festsaals ging ein bedauerlicher Verlust an Dialogbereitschaft von Seiten der Stadt einher. Er gipfelte in den Vorwürfen von Radikalität und mangelnder demokratischer Kultur, da die Bürgerinitiative den Willen der mutmaßlichen Mehrheit nicht respektiere. Ermutigung zu demokratischem Handeln in der Stadtgesellschaft sieht anders aus. (...)«
Tatsächlich ist mein für die Zukunft gewünschtes Demokratieverständnis – was auch der Gründervater von dm in Schriften durchaus postuliert – ein anderes, ggf. auch mutigeres? Etwas kritisch zu benennen und mutiges zu wollen erachte ich als sinnvoll. Demokratie will gestaltet sein und ein Aspekt ist dabei die Teilhabe – Politiker, Unternehmer und Bürgerschaft erkennen einander in ihrer Mündigkeit an! Und gerade deswegen entwickeln sie gemeinsam & transparent – da einander vertrauend und schätzend – eine für die Zukunft tragbare Lösung. Ist das was dm sich für sein Unternehmen wünscht für Sie in der »Neuen Mitte« bereits erfolgt?
P.S. Buchempfehlung: Vom Mut zu denken – Fernando Savater
»Gerade der Prozeß zur Investorensuche gilt bundesweit als vorbildlich hinsichtlich der Einbeziehung einer kritischen Bürgerschaft nach dem Scheitern des Sonae Sierra-Projektes, eines nur ‘von oben’ bzw. nur von der Verwaltung gesteuerten Planungsprozeßes.« – Das ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit, denn das galt uneingeschränkt nur für die Investorensuche.
Schon beim darauf folgenden Architektenworkshop war der Einfluss auf die entscheidende Vorauswahl der geladenen Architekturbüros gleich null, wie die Bürgerinitiative »Bessere Mitte für Fürth« seinerzeit zu Recht kritisierte. Und es galt auch nicht für die Durchführungsphase, in der unter anderem Gegenstimmen und Kritiker als »undemokratisch« denunziert und anderweitig belästigt wurden, um sie ruhig zu stellen. Bekanntlich sind auch Landesgesetze umgangen worden. Man sollte sich nicht den Verdacht aussetzen, hier mit einstimmen zu wollen (»... wirft ein bedenkliches Licht auf Ihr Demokratieverständnis«).
Liebe Frau Irrgang,
mit den ethischen Grundsätzen, denen sich dm seinem Anspruch nach verpflichtet fühlt, habe ich mich bisher nicht beschäftigt. Sollte ein Umzug von dm in die Neue Mitte diesen Grundsätzen nicht standhalten, so dürfen Sie die Verantwortlichen natürlich jederzeit und auch öffentlich darauf hinweisen. Mir geht es darum, dass die guten Ansätze zur Beteiligung engagierter Bürger wie sie im Investorenauswahlverfahren praktiziert worden sind, nicht kleingeredet werden. Auch das gebaute Ergebnis wird eben nicht eine »klotzartige, austauschbare Konsum-Kaaba« werden, sondern erfüllt alle Forderungen kritischer Experten für ein gelunges innerstädtisches Einkaufszentrum (angepaßte Größe mit 15.000m², offenes Center, Vernetzung mit der Umgebung, relativ wenig Parkplätze, Geschäftshausmodell, Dialog mit der ortstypischen Bestand u.a.). Buchempfehlung: »Angriff auf die City« von Holger Pump-Uhlmann.
Der von Ihnen angesprochene Aspekt der »Teilhabe – Politiker, Unternehmer und Bürgerschaft erkennen einander in ihrer Mündigkeit an! Und gerade deswegen entwickeln sie gemeinsam & transparent – da einander vertrauend und schätzend – eine für die Zukunft tragbare Lösung« war ansatzweise im Entwicklungsprozeß zur Neuen MItte meiner Ansicht nach sehr wohl vorhanden, wenn auch nicht durchgehend und »mit Luft nach oben«. Dass die positiven Aspekte des »Neue Mitte«- Prozeßes auch von der kritisch-engagierten Bürgerschaft viel zu wenig gelobt worden sind, hat vermutlich auch dazu geführt, dass die Politik bei Projekten wie Kino und Marktkauf wieder in alte Fahrwasser zurückgekehrt ist.
Lieber Herr Hornstein,
hier noch ein nächtlicher Nachtrag zum gestalterischen Einbinden von Einkaufszentren in Städte, die sich mit Denkmal nach aussen profilieren. Vielleicht haben Sie andere Planeinsichten gehabt, doch dass was ich an Modellen, Fotos und auch Umgangsweisen mit Denkmalbestand mitbekommen habe, ist schlichtweg unbefriedigend! Sie sind Architekt und ich »nur« Designerin. Dennoch habe ich ein Auge für gute gestalterische, Bestand integrierende Lösungen. Ganz abgesehen von Bürgerbeteiligung, ist es doch irritierend, wie eine Stadt, die ihr Profil / ihr Aushängeschild u.a. auf Denkmalstadt ausrichtet, letztlich so unbedacht gestalterisch mit einmaligen historischen Denkmalbauten umgeht. Hat die Stadt zuviel davon und zeigt es durch Abriss? Oder ist das ein fehlendes Geschichtsbewusstsein? Fehlendes Selbstwertgefühl & Selbstbild? Fehlende Lösungskompetenz?
Als »Unternehmen« handelt die Stadt eigentlich gegen ihr unverwechselbares Profil DENKMALSTADT. So ein Vorgehen wäre ein No Go bei der Gestaltung einer FirmenCI ! Warum macht das die Stadt??? Sorry, wenn ich schon Denkmalstadt bin, dann zeige ich anderen Städten VORBILDLICH!, welch spannende, innovative Lösungen man stadtarchitektonisch auftun kann um in einem nötigen/ unnötigen? Einkaufszentrum Alt mit Neu sinnreich zu verbinden (war doch im Südstadtpark auch möglich). Das wäre aus meiner Sicht eine der wichtigsten Bauaufgaben gewesen: BESTANDSWAHRUNG!
Schmerzlich – auch für ein Morgen, dass diese eigene Profilstärkung in der MITTE vertan wurde. Abreißen kann jeder! Danach ein Einkaufszentrum mit aktueller Modernität im Dialog an- und einzupassen ist nett, ggf. sogar schön, aber doch austauschbar & vielfach umgesetzt.
Herausforderung ist doch für eine Stadt, die mit DENKMAL winkt, was wirklich Neues und Unverwechselbares zu schaffen, indem es einfühlsam und ver-rückend mit seinem besonderen »Altbestand« umgeht. Die Einlösung des Gedanken »Einkaufszentrum in einer DENKMALSTADT«, da erst zeigt sich großartig gefühlte & verstandene Architektur & Gestaltung. Wenn wir diesbzgl. & zum Thema »Einkaufszentrum« was wirklich VORBILDLICHES sehen wollen, dann leider nicht in der Denkmalstadt Fürth (maximal das CityCenter :-)... die Ströme von Touristen, sowie Architektur-& Designstudenten pilgern aktuell nach Berlin und bestaunen mit Recht das BIKINI.
Um die Wogen a bissel zu besänftigen: Fürth soll einfach seine Schilder »Denkmalstadt Fürth« entfernen, dann fällt der leidige Anspruch weg :-) Und als moderne »Investment City« hätte ich mir die ganzen Zeilen sparen können, dann passt auch die NEUE MITTE wieder. Wichtig für eine Stadt heutzutage ist es ein begründetes, unverwechselbares und klares Profil zu entwickeln und dem entsprechend zu handeln, was sich dann u.a. in der Gestaltung zeigt. Herr Hornstein, vielleicht habe ich ja was verschlafen. Für heute Gute Nacht.
@ Ulrike Irrgang: Der Stadtbaurat hat doch mit seiner Aussage, Fürth sei Denkmalstadt und nicht Denkmalschutzstadt, bereits Flagge gezeigt und praktisch zugegeben, dass sich dieser Marketing-Gag längst als böser Fehler erwiesen hat, den man am liebsten Ungeschehen machen würde.
Der sehr ehrenwerte Herr Stadtbaurat ist höchst flexibel in seinen Aussagen, siehe hier.
Via Facebook von Götz W. Werners Profil:
Sehr geehrte Frau Irrgang,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Für die Abstimmung mit den Beteiligten bei dm-drogerie markt bitten wir Sie herzlich um etwas Geduld.
Freundliche Grüße
Christian Grether
vom Unternimm die Zukunft Team
Antwort von mir:
Danke, danke. Es geht mir nicht darum, dass dm nicht in die neue Mitte zieht, sondern vielmehr um die Möglichkeit eines Unternehmens wie dm, in Fürth neue stärkende Strukturen mit zu entwickeln. Es gibt hier bereits eine Diskussion mit guten Einblicken in das Thema – siehe Fürther Freiheit