Lei­den in der Stil­le – Mi­gran­tin­nen in der Pan­de­mie

8. Juni 2021 | von | Kategorie: Vermischtes

Wir le­sen viel, hö­ren viel, in den Talk­shows re­den Po­li­ti­ker, Vi­ro­lo­gen, „Ex­per­ten“. Es ist die Re­de von In­zi­den­zen, vom Te­sten, vom Imp­fen, vom Rei­sen, vom »nor­ma­len Le­ben«. Ab und zu ploppt so ne­ben­bei auf, wer viel, wer mehr und wer am mei­sten un­ter Co­ro­na zu lei­den hat. Mit mehr oder we­ni­ger auf­fal­len­den Schwer­punk­ten. Wir von der Frau­en­werk­statt M17 er­fah­ren ab und zu noch, wie das stil­le Lei­den aus­sieht, was zu­hau­se los ist, wie es den Müt­tern geht, wenn sie nicht ins Sprach­trai­ning, nicht in den Qua­li­fi­zie­rungs­un­ter­richt, nicht zum Prak­ti­kum, nicht ins Ca­fé kom­men kön­nen – da­von wol­len wir be­rich­ten.

Sprachlose Einsamkeit - auch in Fürth keine Seltenheit (Foto: Ralph Stenzel)

Sprach­lo­se Ein­sam­keit – auch in Fürth kei­ne Sel­ten­heit
(Fo­to: Ralph Sten­zel)

Ei­ne Grup­pe, die oh­ne Wor­te, un­ge­hört, un­ge­se­hen lei­det, weil sie halt dar­an ge­wöhnt ist zu lei­den, sind Mi­gran­tin­nen; Müt­ter, Haus­frau­en, stu­diert oder oh­ne gro­ße Schul­bil­dung. Sie re­den we­nig dar­über – viel­leicht weil die Spra­che fehlt, viel­leicht, weil es ih­nen sel­ber im Au­gen­blick gar nicht be­wusst ist oder weil sie mehr­fach er­fah­ren ha­ben, dass es so­wie­so nie­mand hört?

Aisa – spricht we­nig deutsch, kann we­nig le­sen, we­nig schrei­ben. Ihr jüng­stes Kind in der Grund­schu­le hat Ho­me­schoo­ling, d.h. es sieht die Leh­re­rin ei­ne hal­be Stun­de am Tag. Ver­steht so­viel nicht, frägt nicht nach, ist al­lei­ne, kann die an­de­ren Kin­der nicht fra­gen. Und die Mut­ter? Sie ver­steht noch viel we­ni­ger als ihr Kind, sieht, dass es zu­rück fällt, nicht mehr mit­kommt, die­ses baye­ri­sche Schul­sy­stem ist ihr so­wie­so ein Rät­sel. Selbst wenn sie sich trau­te: sie kann die Leh­re­rin gar nicht di­rekt an­ru­fen, sie hat nur die Num­mer vom Se­kre­ta­ri­at und dann dau­ert es... Sie weiß nicht, wie man ei­ne E‑Mail schreibt und ihr Deutsch ist schlecht – was macht das für ei­nen Ein­druck? Und ihr Kind darf auch nicht in die Not­be­treu­ung.

Sie al­lein fühlt sich ver­ant­wort­lich, für das Kind, für die Schu­le, für die Fa­mi­lie, für das Funk­tio­nie­ren von all dem, was ihr schon lan­ge über den Kopf wächst. Und die Ver­zweif­lung und die psy­chi­sche Be­la­stung wer­den grö­ßer und grö­ßer. Kei­ne Ge­sprä­che mit Freun­din­nen, kein Qua­li­fi­zie­rungs­un­ter­richt in Prä­senz, kein Spaß, kaum Locker­heit mehr – al­les ist müh­sam, die Men­schen schwer zu er­ken­nen, schwer zu ver­ste­hen hin­ter Schei­ben, hin­ter Mas­ken.

Sprach­kur­se – on­line – für die Schwäch­sten? Die oh­ne Ge­stik, Mi­mik, oh­ne lä­cheln­de Ge­sich­ter, die sie tat­säch­lich in echt se­hen, nicht in der La­ge sind, ei­ne Spra­che zu ler­nen. Oder für die, die kei­nen Lap­top, kein In­ter­net, kein WLAN, kei­ne gu­te Ver­bin­dung, kei­ne tech­ni­schen Kennt­nis­se, kei­nen Men­schen ha­ben, der ih­nen hilft? Und die so­gar Angst ha­ben, sich Tech­nik aus­zu­lei­hen: Was ist, wenn was ka­putt geht, wie re­pa­rie­ren, wie zah­len? Es feh­len In­for­ma­tio­nen, Ver­bin­dung zu Leu­ten, die sich aus­ken­nen, Geld.

Und selbst die, die das al­les ei­ni­ger­ma­ßen ma­na­gen – nach Mo­na­ten mit Kin­dern zu­hau­se, we­nig Be­we­gung, kaum Kon­tak­ten, gro­ßer Un­si­cher­heit, stän­dig wech­seln­den Vor­schrif­ten, die sie oft erst zu spät oder gar nicht mit­be­kom­men oder falsch ver­ste­hen – sind mü­de, zer­mürbt, kön­nen an kei­nem On­line-Un­ter­richt mehr teil­neh­men, weil sie kei­ne Kraft mehr ha­ben oder die Kin­der so­wie­so al­le fünf Mi­nu­ten durchs Bild sau­sen und was brau­chen...

Yun, al­lein­er­zie­hen­de Mut­ter mit be­hin­der­tem Kind, auf Hartz IV an­ge­wie­sen, in Qua­ran­tä­ne, glaubt, wenn sie sich ne­ga­tiv te­sten lässt, darf sie viel­leicht doch raus aus der en­gen Woh­nung oh­ne Bal­kon – und sie geht raus. Und sie wird von der Leh­re­rin ih­rer Toch­ter ge­se­hen. Und die ver­pfeift sie beim Ord­nungs­amt: 500 Eu­ro Buß­geld sind viel; zu viel bei all der psy­chi­schen Be­la­stung, der Sor­ge, wie es wei­ter­geht, dem iso­liert sein, den feh­len­den Per­spek­ti­ven.

Ilia hat vier Kin­der, da­von drei im Ho­me­schoo­ling. Sie hat in ih­rer Hei­mat als Leh­re­rin ge­ar­bei­tet, hier kann sie ih­ren Kin­dern nicht hel­fen, sie sind auf sich al­lein an­ge­wie­sen. Sie kom­men schlecht zu­recht, brau­chen lan­ge für ih­re Auf­ga­ben, manch­mal den gan­zen Tag. Al­le ver­brin­gen viel Zeit in der Woh­nung. Zu viel. Ein Brief kommt – von der WBG: die er­mahnt sie; die Fa­mi­lie soll sich ru­hi­ger ver­hal­ten, Nach­barn hät­ten sich be­schwert.

Da ist er wie­der: der Druck von al­len Sei­ten, die Schu­le will Lei­stung, die Nach­barn wol­len Ru­he, die Fa­mi­lie soll funk­tio­nie­ren. Wie? Das in­ter­es­siert nie­man­den!

Vie­le Müt­ter sind er­füllt von Angst und ge­hen über­haupt nicht mehr raus, die Kin­der sind Tag und Nacht in der Woh­nung, be­we­gen sich nicht, se­hen kei­ne Freun­din­nen. Sport­an­ge­bo­te, Frei­zeit-Or­te, Fei­ern... All das fehlt und führt da­zu, dass die Kin­der ein­sam vor dem Ta­blet hocken, spie­len und kei­ne Mo­ti­va­ti­on zum Ler­nen ha­ben. Und sie ge­wöh­nen sich an all dies! Was das für uns als Ge­sell­schaft be­deu­tet, wer­den wir die näch­sten Jahr­zehn­te se­hen und spü­ren...

 
Alex­an­dra Pas­ha­li­dis ist Pro­jekt­lei­te­rin der Frau­en­werk­statt M17 bei der ELAN GmbH, der Be­schäf­ti­gungs- und Qua­li­fi­zie­rungs­ge­sell­schaft der Stadt Fürth

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Ein Kommentar zu »Lei­den in der Stil­le – Mi­gran­tin­nen in der Pan­de­mie«:

  1. Moritz Schulz sagt:

    Ich bin mit Ih­nen voll­kom­men ei­ner Mei­nung dar­über, dass die Si­tua­ti­on von Per­so­nen wie je­nen, die Sie als Bei­spie­le an­füh­ren, vor Au­gen zu ha­ben wich­tig ist, wenn wir uns ein mög­lichst um­fas­sen­des Bild des­sen ma­chen wol­len, wie es Men­schen in die­ser Pan­de­mie er­geht – über die Gren­zen des­sen, was wir un­mit­tel­bar er­le­ben oder hö­ren hin­aus. Sol­che In­for­ma­tio­nen zu­gäng­lich zu ma­chen ist mit­hin si­cher ein gu­ter Zweck ei­nes Ar­ti­kels.

    Den­noch blei­be ich ir­gend­wie mit der Fra­ge zu­rück, was ge­nau dar­aus nun fol­gen soll. Möch­ten Sie die­se drei Ein­zel­bei­spie­le be­kannt ma­chen? Möch­ten Sie sa­gen, dass die­se Ein­zel­bei­spie­le re­prä­sen­ta­tiv für ganz vie­le wei­te­re Fäl­le sind? (Ist das so?) Brin­gen Sie die Bei­spie­le vor, um zu zei­gen, dass an der ur­säch­li­chen Po­li­tik et­was falsch ist? Wenn ja, was ge­nau hal­ten Sie für falsch? Ich hof­fe, Sie füh­len sich da nicht zu un­freund­lich von mir ge­le­sen – aber ir­gend­wie ent­steht durch das blo­ße Schil­dern die­ser Pro­blem­si­tua­tio­nen für mich ein ge­wis­ser sug­ge­sti­ver Flair: so als sei doch of­fen­sicht­lich, was das nun be­deu­te. Das zu­min­dest scheint es mir nicht zu sein. (Ab­ge­se­hen da­von, dass die Be­trof­fe­nen na­tür­lich je­weils in ei­ner be­dau­er­li­chen Si­tua­ti­on sind.)

    Im Üb­ri­gen wün­sche ich Ih­nen wei­ter­hin viel En­er­gie für Ihr wert­vol­les En­ga­ge­ment!

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