Ein Le­ben in Fürth

26. Dezember 2011 | von | Kategorie: Vermischtes

Am 18.06.1923 er­blick­te mei­ne Oma Hil­de­gard Ka­tha­ri­na För­ster in der Für­ther Alt­stadt das Licht der Welt. Die Zei­ten wa­ren da­mals re­la­tiv gut: Al­le hat­ten ei­ne Abeit, ver­dien­ten zwar we­nig, aber wenn al­le zu­sam­men­hal­fen war ge­nug Geld da, um gut le­ben zu kön­nen.

Oma als Kind mit Puppe "Fritzi", ca. 1930 (Foto: Familienarchiv)

Oma als Kind mit Pup­pe »Frit­zi«, ca. 1930 (Fo­to: Fa­mi­li­en­ar­chiv)

Oma wur­de da­heim er­zo­gen und ging am Kir­chen­platz in die Schu­le. Als die NSDAP an die Macht kam, ging (muß­te ge­hen) mei­ne Oma zum BDM (Bund deut­scher Mä­del) und mach­te ei­ni­ge Nürn­ber­ger Reichs­par­tei­ta­ge mit. Un­se­re Fa­mi­lie hat­te mit Hit­ler so­wie­so nichts am Hut, weil man vie­le jü­di­sche Be­kann­te und Freun­de hat­te. En­de der 30er Jah­re lern­te sie ei­nen Jagd­flie­ger ken­nen, ver­lieb­te sich und man hei­ra­te­te in der Mi­chels-Kirch in der Alt­stadt. Der Herr war aus Schles­wig-Hol­stein und mei­ne Oma zog mit in den Nor­den in ei­nes klei­nes Dorf. Von der Fa­mi­lie Ih­res Man­nes wur­de sie nie rich­tig ak­zep­tiert. »Fran­ken­beu­tel« und »Bay­ern­zip­fel« nann­te die an­ge­hei­ra­te­te Ver­wand­schaft mei­ne Oma.

Am 28.06.1943 kam mei­ne Mut­ter Aman­da auf die Welt. Al­lein schon der mo­der­ne Na­me war ei­ne Pro­vo­ka­ti­on für die kon­ser­va­ti­ve Ver­wandt­schaft. Von ei­nem Nut­ten-Na­men war die Re­de. Mei­ne Oma moch­te das Dorf nicht, die Leu­te nicht, die Ver­wan­den erst recht nicht und Ihr Mann war auch nicht auf ih­rer Sei­te: Schei­dung. Mit Aman­da ging es ca. 1950 zu­rück nach Fürth. Mein Opa hat sich in all den Jah­ren nicht ein­mal um mei­ne Mut­ter, sein Kind ge­küm­mert. Mei­ne Mut­ter hat Ih­ren Va­ter nie ge­se­hen, ein­mal schrieb sie ihm, es kam kei­ne Ant­wort aus dem Nor­den. Hier­bei muß ge­sagt wer­den das mei­ne Oma im­mer mo­dern war, al­so sich gut an­zog und im­mer auch Make-Up auf­leg­te, so­was war in ei­nem klei­nen, kon­ser­va­ti­ven Dorf in den 40er Jah­ren na­tür­lich nicht gern ge­se­hen.

Das war die Vor­ge­schich­te...

1950... Fürth... die Wirt­schaft er­hol­te sich, Lud­wig Er­hard war Wirt­schafts­mi­ni­ster und sag­te: »Mir wur­de sei­ner­zeit im­mer ge­sagt, mei­ne Auf­ga­be wä­re es die Not und die Ar­mut ge­recht zu ver­wal­ten. Ich wer­de ei­nen Teu­fel tun und Not und Ar­mut nicht ver­wal­ten, son­dern sie über­win­den.« Lud­wig Er­hard be­hielt recht...

Hil­de­gard För­ster (»die Hil­de«) stand mit ih­rer klei­nen Toch­ter Aman­da nun al­lei­ne oh­ne Mann und Ar­beit da. Be­kann­te, Freun­de und Fa­mi­lie hal­fen. Ihr Ge­org (»der Schorsch«) sag­te: »Hil­de, du moußt wos ma­chen, du moußt der ah Är­bert soung, die Glaa muo ja ver­sorcht sei.« Oma: »Ach Schorsch, ich hob doch nix glernt. Dou mäist ich ja put­zen gäi. Is ja worscht, des macht mir doch nix aus, gäi ich halt put­zen.« Der Schorsch: »Ah suu ah Gschmar­ri, brauchst doch net put­zen gäi! Der Schicke­danz, der Humb­ser und Grun­dig soung doch im­mer Leut, und faul und bläid bist ja net!«

Oma Hilde (rechts) bei einer Faschingsfeier, 1953 (Foto: Familienarchiv)

Oma Hil­de (rechts) bei ei­ner Fa­schings­fei­er, 1953
(Fo­to: Fa­mi­li­en­ar­chiv)

1952 saß mei­ne Oma im Grun­dig-Werk in Fürth in der Kur­gar­ten­stra­ße an ih­rem Ar­beits­platz und wickel­te Tra­fos. Grun­dig hat­te sie so­fort ein­ge­stellt, mei­ne Mut­ter wur­de von der Ver­wand­schaft ver­sorgt, Kin­der­gär­ten gab es noch nicht. Sie ar­bei­te­te im Ak­kord, die ge­for­der­ten Stück­zah­len wa­ren zwar hoch, aber zu schaf­fen. Meist wickel­te mei­ne Oma mehr Tra­fos als ver­langt, was sich in der oh­ne­hin schon gu­ten Be­zah­lung auch noch nie­der­schlug.

»Der Grun­dig« war ein ein Chef al­ter Schu­le, do­mi­nant, selbst­si­cher, cho­le­risch. Wi­der­spruch gab es ein­fach nicht, er war der Chef und aus. Er hat­te sein Ge­schäft sel­ber auf­ge­baut. Er war aber auch fair, ehr­lich und ge­ra­de her­aus. Wer flei­ßig und loy­al zur Fir­ma war hat­te nichts zu be­fürch­ten und wur­de ent­spre­chend ent­lohnt. Die Sto­ry, daß er neu­ent­wickel­te Ge­rä­te, die ihm nicht ge­fie­len kur­zer­hand aus dem Fen­ster ge­wor­fen hat, stimmt. Oma er­zähl­te das auch im­mer.

Mei­ne Mut­ter Aman­da war in­zwi­schen aus der Schu­le und Oma im­mer noch beim Max flei­ßig am Tra­fo wickeln. Sie ent­schied sich, bei der Bäcke­rei Kiß­kalt am Rat­haus die Leh­re zur Kon­di­to­rei-Fach­ver­käu­fe­rin zu ma­chen. Je­den Werk­tag muß­te sie dem Be­triebs­lei­ter der Grü­ner-Bräu in der Gar­ten­stra­ße sein Früh­stück brin­gen. In die­ser Zeit lern­te sie mei­nen Va­ter ken­nen, der aus sehr ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen aus der Für­ther Alt­stadt stamm­te, aber wie El­vis Pres­ley da­her­kam: schwar­ze, ge­wich­ste Haa­re, schlank und gut­aus­se­hend. In der »Kro­ne« in der Gu­stav­stra­ße lern­ten sie sich ken­nen und lie­ben, bis heu­te. Mei­ne Oma moch­te mei­nen Va­ter so­fort. Mein Va­ter war da­mals beim Benz (Sa­ni­tär-Be­trieb in Fürth) und wech­sel­te dann zum Wil­ly Herr­mann (Herr­mann Haus­tech­nik, jetzt zu Bro­chi­er ge­hö­rend) nach Nürn­berg-Al­ten­furt, weil der bes­ser be­zahl­te. Brach­te es zum Bau­stel­len­lei­ter, die an­ge­bo­te­ne Stel­le als Sa­ni­tär­mei­ster schlug er aus: »Im Bü­ro hocken is nix für mich!«

30 Jahre bei Grundig, 1982 (Foto: Familienarchiv)

30 Jah­re bei Grun­dig, 1982 (Fo­to: Fa­mi­li­en­ar­chiv)

Zu­rück zu mei­ner Mut­ter: Leh­re fer­tig, kei­ne Über­nah­me. Mist! Was tun? Oma wuß­te schnell Rat: »Der Grun­dig soucht nuu Leut« 1963 saß auch sie in der Kur­gar­ten­stra­ße an der End­kon­trol­le, dann spä­ter auch an der Tra­fo­wickel­sta­ti­on, da gab es mehr Geld. 1978 war für mei­ne Mut­ter Schluß beim Max. Der ließ sich nicht lum­pen, 1500 Bo­nus für »treue Dien­ste« wur­den über­wie­sen + Fress­korb. Ich kam auf die Welt, da mein Va­ter ge­nug ver­dien­te, muß­te sie nicht mehr ar­bei­ten. »Konnst da­hamm bleim Aman­da, küm­merst Dich um die An­drea.«. Aus der An­drea wur­de zwar der An­dré, aber das ist ja egal.

Oma wickel­te im­mer noch Tra­fos in Fürth. Bis ihr Ab­tei­lungs­lei­ter ihr an­bot: »Hil­de, Du bist scho suu lang da­bei, ich hab mal gfroocht ob Du net nach Lang­was­ser ge­hen konnst, däi Är­bert is viel leich­ter. Dou mü­ßerst die End­kon­trol­le der Fern­se­her ma­chen.« Mei­ne Oma sag­te zu, es wur­de auch Lohn­er­hö­hung plus Fahr­ko­sten­er­stat­tung an­ge­bo­ten. Zwei Din­ge ge­fie­len mei­ner Oma dar­an aber nicht: »Däi Foh­re­rei nach Lang­was­ser auf ewig« und »Ich soll nach Nem­berch? Ich waaß ja net.« Mei­ne Oma war über­zeug­te Für­the­rin und moch­te den hass­ge­lieb­ten Nach­barn so gar nicht. Gleich­wohl saß sie lan­ge Jah­re an der End­kon­trol­le des Fern­seh-Fließ­ban­des. Ei­ne ein­tö­ni­ge, aber gut ent­lohn­te Tä­tig­keit. Bis sie Ge­burts­tag hat­te. Die Ge­schich­te hat sie im­mer gern er­zählt:

»An mein Ge­burts­tag, hob ich die Kol­le­gen noch auf aah Glas Sekt eig­loo­den.« (Nach der Schicht! Aber am Ar­beits­platz.) 5–6 Kol­le­gi­nen tran­ken dann halt ei­nen Sekt mit der Hil­de. Auch da­mals herrsch­te schon Al­ko­hol­ver­bot im Werk, wur­de aber vom Ab­tei­lungs­lei­ter »über­se­hen« so­lang man es nicht über­trieb. Heu­te un­denk­bar. Nor­ma­ler­wei­se war es eher un­ge­wöhn­lich das der Herr Grun­dig so spät noch durch die Werks­hal­len lief. Aber nicht aus­ge­schlos­sen. Und eben an je­nem Tag, dem Ge­burts­tag mei­ner Oma, lief je­ner Max Grun­dig doch durch die Werks­hal­le und an der Sta­ti­on mei­ner Oma vor­bei und blieb ste­hen. »Wos isn dou los? Sie wis­sen schoo, daß Al­ko­hol am Ar­beits­platz un­ter­sagt ist?« In Er­war­tung der Kün­di­gung bzw. ei­nes rie­sen Don­ner­wet­ters sag­te mei­ne Oma: »Herr Grun­dig, es dout mer leid, ich hab Ge­burts­tag. Un­ser Stück­zahl ham­mer gschafft und su­gar noch mehr er­le­digt.« Grun­dig: »Na dann herz­li­chen Glück­wunsch zum Ge­borts­dooch Frau För­ster! Und? Derf ich aah an Sekt mittrin­ken?« Grun­dig wuß­te, ob­wohl Boß von 1000senden Mit­ar­bei­tern, den Na­men mei­ner Oma, was Sie sehr wun­der­te, sie war ei­ne ein­fa­che Ar­bei­te­rin. Und so trank mei­ne Oma mit Max Grun­dig, dem gro­ßen Chef der Grun­dig-Wer­ke, ei­nen Sekt an ih­rem Ge­burts­tag. Mit ei­nem Lä­cheln ging der Pa­tri­arch Grun­dig dann wie­der weg. Er hat­te zu tun, er hat­te ja im­mer zu tun. Er war ein rast­lo­ser Mensch.

Hildegard Förster im Ruhestand mit dem Autor im Arm (Foto: Familienarchiv)

Hil­de­gard För­ster im Ru­he­stand mit dem Au­tor im Arm
(Fo­to: Fa­mi­li­en­ar­chiv)

Zu­letzt lä­chel­te Max Grun­dig nicht mehr, sag­te mei­ne Oma. Sein Slo­gan »Bei mir wird nie­mand ent­las­sen!« galt nicht mehr. Die Ge­schich­te vom En­de von Grun­dig kann an an­de­rer Stel­le im Netz nach­ge­fragt wer­den.

Bis zur Ren­te ver­blieb mei­ne Oma beim Max, bis sie dann ging und die Fir­ma Grun­dig ihr nach über 35 Jah­ren ei­nen schö­nen Ab­schied ge­währ­te. »Für lan­ge und treue Dien­ste«. Da­nach leb­te Oma bei uns in der Salz­stra­ße 8 in ei­nem Zim­mer und ver­wöhn­te ihr En­kel­kind (mich) nach Strich und Fa­den. Staat­li­che Ren­te und Grun­dig Be­triebs­ren­te wa­ren üp­pig.

Am 18.01.1993 kam Oma zu mir ins Zim­mer um mich zu wecken, weil ich zur Schu­le muß­te. »An­dy mir is heut suu schlecht.« sag­te sie noch zu mir und setz­te sich auf ei­nen Stuhl in der Kü­che. Ich weck­te mei­ne Mut­ter, um ihr zu sa­gen, daß es Oma schlecht ist. Fünf Mi­nu­ten spä­ter ver­starb Oma an ei­ner plötz­li­chen Lun­gen­em­bo­lie in der Ar­men mei­ner Mut­ter mit nur 69 Jah­ren. Ein Le­ben und Ar­bei­ten in Fürth ging viel zu schnell zu En­de...

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2 Kommentare zu »Ein Le­ben in Fürth«:

  1. dawn sagt:

    Vie­len Dank für den sehr schö­nen Ar­ti­kel. Mei­ne Oma ist Jahr­gang 1922 und Ihr Sohn/mein Va­ter Jahr­gang 1947 und bei­de Ur-Für­ther, da­her kann ich hier beim Le­sen sehr vie­le Par­al­le­len er­ken­nen, die mich sehr be­rüh­ren.

  2. André Rupprecht sagt:

    Dan­ke dawn, freut mich sehr dass Dir der Ar­ti­kel ge­fällt.

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