Eh­ren­brief für Wil­lie Gla­ser

1. Juli 2010 | von | Kategorie: Vermischtes
Willie Glaser und Dr. Thomas Jung (Foto: Alexander Mayer)

Wil­lie Gla­ser er­hielt am 30. Ju­ni 2010 von Ober­bür­ger­mei­ster Dr. Tho­mas Jung den Eh­ren­brief der Stadt Fürth
(Fo­to: Alex­an­der May­er)

Wil­lie Gla­ser wur­de 1921 in Fürth ge­bo­ren. Kurz vor Kriegs­aus­bruch 1939 konn­te er nach Bel­fast (Nord­ir­land) ent­kom­men. Er trat in die Pol­ni­sche (Exil-)Armee ein und lan­de­te mit dem ka­na­di­schen Kon­tin­gent 1944 in der Nor­man­die zur Be­frei­ung von Eu­ro­pa. Da sei­ne Fa­mi­lie ver­schol­len war, ließ er sich nach dem Krieg in Ka­na­da nie­der. Nach ei­nem ge­schäft­lich er­folg­rei­chen Le­ben wid­me­te er sich im Al­ter den Kon­tak­ten mit Fürth und der For­schung zur Fra­ge: Wie konn­te es zum Ho­lo­caust kom­men?

Zu­nächst ar­bei­te­te er das Schick­sal sei­ner Fa­mi­lie im De­tail auf und kam nach um­fang­rei­chen Re­cher­chen zu fol­gen­dem Er­geb­nis: Va­ter Fer­di­nand Gla­ser wur­de in Ausch­witz, sei­ne Mut­ter Ade­le mit drei klei­nen Ge­schwi­stern in Bel­zec er­mor­det.

Wil­lie Gla­ser brach je­doch kei­nes­falls die Kon­tak­te nach Deutsch­land und nach Fürth ab, was durch­aus ver­ständ­lich ge­we­sen wä­re. Schon 1998 in­iti­ier­te er die Schen­kung wert­vol­ler he­bräi­scher Drucke durch das Ar­chiv des Ca­na­di­an Je­wish Con­gress an das Jü­di­sche Mu­se­um Fran­ken, im Jah­re 2007 be­tei­lig­te er sich am Zeit­zeu­gen Pro­jekt der Leo­pold-Ull­stein Schu­le.

In sei­nen zahl­rei­chen öf­fent­li­chen Auf­trit­ten in Ka­na­da als hoch­de­ko­rier­ter Kriegs­ve­te­ran hat er sei­ne Für­ther Zeit nie in ei­nem schlech­ten Licht er­schei­nen las­sen. Durch die Auf­ar­bei­tung des Schick­sals sei­ner Fa­mi­lie hat er der Ge­schichts­wis­sen­schaft wert­vol­le Hin­wei­se zur Ho­lo­caust­for­schung ge­ben kön­nen. Der Für­ther Wil­lie Gla­ser steht ex­em­pla­risch für ein Schick­sal in ei­ner bis­her bei­spiel­lo­sen ge­schicht­li­chen Zä­sur. In­dem er selbst die­se Zä­sur be­wäl­tigt, hilft er uns, sie zu be­wäl­ti­gen.

Wil­lie Gla­ser und das Schick­sal sei­ner Fa­mi­lie im De­tail:

Familie Glaser (1938)

Die Fa­mi­lie Gla­ser aus Fürth im Jah­re 1938, kurz vor­her war Lot­tie Gla­ser nach Eng­land ge­flüch­tet, Wil­lie folg­te. Ober­ste Rei­he, von links nach rechts: Wil­lie (* 1921), Ade­le (* 1895, † 1942/43) Zwei­te Rei­he: Ber­tha (* 1930, † 1942/43), Esther (* ?, † 1942) Un­ter­ste Rei­he: Frie­da (* 1935, † 1942/43), Leo (* 1932, † 1942/43) Ade­le, Ber­tha, Leo und Frie­da wur­den am 22. März 1942 von Fürth nach Iz­bica de­por­tiert. Fer­di­nand wur­de am 7. De­zem­ber 1943 von Pa­ris nach Ausch­witz de­por­tiert. Esther Gla­ser starb am am 6. April 1942 im Jü­di­schen Kran­ken­haus Fürth.

1892 ließ sich die Fa­mi­lie Gla­ser in Fürth nie­der. Fer­di­nand Gla­ser wur­de 1914 Sol­dat in der öster­rei­chi­schen Ar­mee, da sein Va­ter in Ga­li­zi­en ge­bo­ren war. Nach Kriegs­en­de hei­ra­te­te er noch 1918 in Fürth Ade­le Krie­ser (*1895 in Ausch­witz). 1921 wur­de als zwei­tes von ins­ge­samt fünf Kin­dern Wil­lie Gla­ser ge­bo­ren. Nach dem 1. Welt­krieg war Ga­li­zi­en ein Teil von Po­len ge­wor­den, des­we­gen er­hielt die Fa­mi­lie Gla­ser die pol­ni­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit, Be­mü­hun­gen um die deut­sche Staats­bür­ger­schaft schlu­gen fehl.

Ab 1937 half Fer­di­nand ge­werbs­mä­ßig an­de­ren Ju­den, ihr Mo­bi­li­ar und per­sön­li­che Ha­be ins Aus­land zu schaf­fen. An­fang Au­gust ver­ließ Fer­di­nand Gla­ser Fürth, um über die Schweiz nach Frank­reich aus­zu­rei­sen. Im Au­gust 1939 er­hielt Wil­lie Gla­ser die Ein­rei­se­er­laub­nis für Eng­land, zu Kriegs­be­ginn wa­ren da­mit Wil­lie und Schwe­ster Lot­tie Gla­ser in Nord­ir­land, Fer­di­nand Gla­ser in Pa­ris. In Fürth be­fan­den sich sei­ne Ehe­frau Ade­le mit drei Kin­dern und de­ren Groß­mutter Esther.

Wil­lie Gla­ser

Panzerdenkmal in der Normandie (Foto: Alexander Mayer)

Pan­zer­denk­mal in der Nor­man­die, mit ei­nem ähn­li­chen Pan­zer lan­de­te Wil­lie Gla­ser in der Nor­man­die am Brücken­kopf Ju­no Beach. In Cours­eul­les-sur-Mer kann man sich im Ju­no Beach Cent­re über die Lan­dung der Ka­na­di­er in­for­mie­ren.
(Fo­to: Alex­an­der May­er)

Wil­lie Gla­ser ar­bei­te­te zu­nächst von 1939 bis 1941 in Bel­fast. Bis En­de 1941 konn­te der Brief­kon­takt mit Mut­ter Ade­le über das neu­tra­le Ir­land auf­recht ge­hal­ten wer­den. An­fang 1941 mel­de­te sich Wil­lie Gla­ser zur Ar­mee, 1943 wur­de er zur 1. Pol­ni­schen Pan­zer­di­vi­si­on ver­setzt. Beim Ein­drin­gen der Ro­ten Ar­mee in Po­len 1939/40 hat­te sich die­se Ein­heit nach Un­garn ab­ge­setzt, ge­lang­te fast voll­stän­dig nach Frank­reich und bil­de­te dort ei­nen Teil ei­ner pol­ni­schen Bri­ga­de, die spä­ter über Dün­kir­chen eva­ku­iert wur­de.

Wil­lie Gla­ser wur­de Fun­ker und Ge­schütz­la­der auf ei­nem schnel­len Späh­pan­zer. Am 6. Ju­ni 1944 (»D‑Day«) be­gann die Ope­ra­ti­on Over­lord (Al­li­ier­te In­va­si­on in der Nor­man­die), am 8. Au­gust 1944 lan­de­te die Er­ste Pol­ni­sche Pan­zer­di­vi­si­on als in­te­gra­ler Be­stand­teil der Er­sten Ka­na­di­schen Ar­mee in der Nor­man­die. Mit­te Au­gust 1944 war Wil­lie Gla­ser an der Ein­kes­se­lung deut­scher Trup­pen im Kes­sel von Fa­lai­se be­tei­ligt, er ver­hör­te auf­grund sei­ner Sprach­kennt­nis­se mit­un­ter deut­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne, dar­un­ter Mit­glie­der der 12. SS-Pan­zer-Di­vi­si­on »Hit­ler­ju­gend« und der 1. SS-Pan­zer-Di­vi­si­on Leib­stan­dar­te-SS Adolf Hit­ler. Letz­te­re war die Di­vi­si­on, die ein Jahr zu­vor Va­ter Fer­di­nand Gla­ser ge­fan­gen­ge­nom­men hat­te (s.u.). Ge­fan­ge­ne –zum Teil aus Fran­ken und aus Fürth– sprach Wil­lie Gla­ser ge­zielt dar­auf an, ob er selbst nun dem von Ju­li­us Strei­chers »Der Stür­mer« ge­präg­ten Bild des »fei­gen Ju­den« ent­spre­che.

Der pol­ni­sche Pan­zer­trupp wur­de in Ge­fech­ten mit den bei den Al­li­ier­ten ge­fürch­te­ten schwe­ren deut­schen Pan­zern ver­wickelt. Wil­lie Gla­sers Späh­pan­zer er­hielt bei Cham­bo­is ei­nen Tref­fer durch ei­nen Pan­zer der SS, wo­bei zwei Be­sat­zungs­mit­glie­der ge­tö­tet wur­den. Kurz dar­auf ge­lang es dem Späh­pan­zer ei­nen schwe­ren deut­schen Kampf­pan­zer ab­zu­schie­ßen – wo­für der leich­te eng­li­sche Tank ei­gent­lich nicht aus­ge­legt war. Die Be­sat­zungs­mit­glie­der er­hiel­ten des­we­gen das pol­ni­sche Tap­fer­keits­kreuz »Krzych Wlecz­nych«. Das Re­gi­ment be­weg­te sich dann nach Bel­gi­en und Hol­land, im No­vem­ber 1944 er­reich­ten die Pan­zer die Maas, im April 1945 das deut­sche Staats­ge­biet, die letz­te Kampf­hand­lung fand am 4. Mai na­he der Ort­schaft Asteder­feld (heu­te zu Ze­tel ge­hö­rig) statt. Im Au­gust 1945 lö­ste das pol­ni­sche Re­gi­ment als Teil der bri­ti­schen Rhein­ar­mee die in Au­rich sta­tio­nier­ten ka­na­di­schen Trup­pen ab, die nach Ka­na­da zu­rück­kehr­ten. Im März 1947 kehr­te die Di­vi­si­on nach Eng­land zu­rück und wur­de ein halb­mi­li­tä­ri­sche Ein­heit, das Pol­ni­sche Um­sied­lungs­korps. Im Lau­fe des Jah­res 1947 lud die ka­na­di­sche Re­gie­rung et­wa 5.000 pol­ni­sche Ve­te­ra­nen da­zu ein, sich in Ka­na­da nie­der­zu­las­sen. Wil­lie Gla­ser nahm die­ses An­ge­bot an.

Ade­le Gla­ser

Lottie und Willie Glaser (Foto: Alexander Mayer)

Lot­tie und Wil­lie Gla­ser ent­ka­men 1938 aus Deutsch­land
(Fo­to: Alex­an­der May­er)

Ade­le Gla­ser er­hielt kurz nach Kriegs­be­ginn die An­wei­sung, ih­re gro­ße Woh­nung in der Schwa­ba­cher Stra­ße 22 zu ver­las­sen und zu­sam­men mit ei­nem Ehe­paar ei­ne Woh­nung in die Hin­den­burg­stra­ße 8 (heu­te: Ru­dolf-Breit­scheid-Stra­ße) zu be­zie­hen. Das Ge­bäu­de war ein »Ju­den­haus«, auf An­ord­nung des städ­ti­schen Woh­nungs­am­tes wur­den be­son­de­re Quar­tie­re für Ju­den ein­ge­rich­tet.

Ade­le Gla­ser und die Kin­der Ber­tha, Frie­da und Leo wur­den am 22. März 1942 nach Iz­bica de­por­tiert und wur­den ent­we­der dort oder ‑wahr­schein­li­cher- in Bel­zec er-mor­det. Esther Gla­ser starb drei Wo­chen nach der De­por­ta­ti­on der Schwie­ger­toch­ter und drei­er En­kel im Jü­di­schen Kran­ken­haus Fürth (Thea­ter­stra­ße 36).

Fer­di­nand Gla­ser

Der Waf­fen­still­stand zwi­schen Frank­reich und Deutsch­land vom 22. Ju­ni 1940 be­inhal­te­te die Tei­lung von Frank­reich, zu den Be­stim­mun­gen des Waf­fen­still­stan­des ge­hör­te die Aus­lie­fe­rung sämt­li­cher in Frank­reich le­ben­der Ju­den. Vom 29. Ok­to­ber 1940 bis 5. De­zem­ber 1940 war Fer­di­nand Gla­ser im In­ter­nie­rungs­la­ger Gurs, spä­ter in an­de­ren La­gern. Fer­di­nand Gla­ser floh und er­reich­te das von Ita­li­en be­setz­te fran­zö­si­sche Grenz­ge­biet. Die ita­lie­ni­schen Be­hör­den be­tei­lig­ten sich dort an der Ver­fol­gung der Ju­den kaum und so wur­de der ita­lie­nisch be­setz­te Grenz­be­reich zum Zu­fluchts­ort für Ju­den aus Frank­reich, Schät­zun­gen spre­chen von über 50.000 Ju­den (da­von ca. die Hälf­te Nicht-Fran­zo­sen) in die­sem Ge­biet.

Nach der Ka­pi­tu­la­ti­on Ita­li­ens am 8. Sep­tem­ber 1943 rück­ten deut­sche Trup­pen in die bis­her ita­lie­nisch be­setz­ten Ge­bie­te Frank­reichs ein, Gla­ser flüch­te­te über den Col­le di Ci­lie­gie nach Val­die­ri. In Val­die­rie war die 1. SS-Pan­zer-Di­vi­si­on Leib­stan­dar­te-SS Adolf Hit­ler da­mit be­traut, Ju­den zu fas­sen. Zahl­rei­che Flücht­lin­ge über­leb­ten die Raz­zi­en, noch heu­te (bis­her letzt­ma­lig im Jah­re 2003) gibt es Tref­fen der Über­le­ben­den in St. Mar­tin Vésubie zum Ge­den­ken an die Über­que­rung des Pas­ses nach Val­die­ri. Fer­di­nand Gla­ser wur­de je­doch fest­ge­nom­men und mit ei­ner Grup­pe von an­de­ren Ge­fan­ge­nen nach Bor­go San Dal­maz­zo in das dor­ti­ge Po­li­zei­haft­la­ger ge­bracht. Am 20. Sep­tem­ber 1943 wur­den laut dem Kriegs­ta­ge­buch des Ge­ne­ral­kom­man­dos des II. SS-Pan­zer­korps 216 Ju­den in Bor­go San Dal­maz­zo fest­ge­setzt und dem SD (Si­cher­heits­dienst des Reichs­füh­rers SS) über­stellt. Am 21. No­vem­ber 1943 kam die Grup­pe per Bahn zum Ge­sta­po­haupt­quar­tier nach Niz­za und von dort zum Tran­sit­la­ger Dran­cy bei Pa­ris, wo Fer­di­nand Gla­ser am 24. No­vem­ber ein­traf. (»Me­mo­ria­le del­la De­por­ta­zio­ne« am Bahn­hof Bor­go San Dal­maz­zo mit den Na­men der De­por­tier­ten einschl. Fer­di­nand Gla­ser). Am De­zem­ber wur­de er zu­sam­men mit ca. tau­send an­de­ren Ju­den zum Bahn­hof Bo­bi­gny ge­bracht. Ei­ni­ge Ta­ge spä­ter kam der Trans­port in Ausch­witz an. Nach den Auf­zeich­nun­gen in Ausch­witz wur­den 334 Män­nern und Frau­en Num­mern ein­tä­to­wiert. 657 Män­ner, Frau­en und Kin­der wur­den so­fort ver­gast. Auf­grund sei­nes Al­ters und der Be­rufs­be­zeich­nung »Spiel­wa­ren­fa­bri­kant« war Fer­di­nand Gla­ser ver­mut­lich letz­te­rer Grup­pe zu­ge­teilt.

 
Dr. Alex­an­der May­er ist eh­ren­amt­li­cher Stadt­hei­mat­pfle­ger in Fürth.

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