Im Fokus der Mensch: Julia Thomas und Thomas Steigerwald
24. Oktober 2010 | von Ralph Stenzel | Kategorie: Der besondere BeitragAber sie sei doch gar nichts Besonderes, meinte die jugendlich flott gekleidete alte Dame, die mit ihren über 90 Lebensjahren noch immer täglich hinter dem Tresen ihres kleinen Gemischtwarenladens stand, dort von Montag bis Samstag Lebensmittel und Lottoscheine verkaufte und sich sonntags vielleicht nicht immer auf die vom Ordnungsamt genehmigten, frischen Schnittblumen beschränkte. Die Filmemacher der Medien PRAXIS fanden dieses Tun sehr wohl bemerkenswert, und während sich draußen vor der der Glastür auf der vielbefahrenen Durchgangsstraße die Blechlawine vorüberschob, portraitierten drinnen Thomas Steigerwald an der Kamera und Julia Thomas am Mikrofon diese alles andere als gewöhnliche Frau in einer kleinen Stadt im Fürther Landkreis.
Einfühlsame Portraits und unspektakuläre Reportagen sind die Spezialität der beiden leidenschaftlichen Dokumentarfilmer, denen es nie um billige Knalleffekte und platte Sensationsmacherei geht, sondern stets um das genaue, gleichwohl behutsame und niemals voyeuristische Hinschauen. Ob es sich um alternative Wohnprojekte handelt, hochbegabte Kinder oder Bürgerinitiativen, fast immer drehen sich die Geschichten um die beteiligten Menschen und das, was diese zu erzählen und zu sagen haben.
Was hinterher als in der Regel viertelstündiger Film auf Sendung geht, ist oft das Produkt wochenlanger Recherchen sowie aufwendiger Dreh- und Schneidearbeiten, von den begleitenden Diskussionen gar nicht zu reden: Dramaturgie und Szenenauswahl, Schnittfolge und Vertonung, alles wird so lange leidenschaftlich diskutiert (und gegebenenfalls ausprobiert), bis das Ergebnis rund ist und beide überzeugt. Auch wenn die beiden in ihren kleinen Redaktionsräumen am Fürther Stadtpark seit sechs Jahren ein eingespieltes Team sind: Hier gibt es kein Projekt, welches ohne eigene Gefühlsbeteiligung »mal eben« routiniert abgewickelt wird...
Filmemachen, das ist eine ebenso faszinierende wie diffizile Herausforderung: »Als Fernsehmann bist Du nie nur ein anoymer Beobachter«, erklärt Thomas Steigerwald. »Du bist immer auch als Person präsent und brauchst das Vertrauen der Menschen. Das ist eine große Verantwortung, der man gerecht werden muß. Wir müssen die Leute ernstnehmen.«
In der Praxis bedeutet das den Verzicht auf dramaturgische Kniffe wie später hinzugefügte Kommentare aus dem Off, suggestiv wirkende Kamerafahrten, situationsverfälschende Schnittfolgen. Die in ihrer alltäglichen Umgebung aufgenommenen Interviewpartner sollen so authentisch wie möglich sein und das auch immer bleiben können: Mediale »Geschmacksverstärker« haben keinen Platz in den sensiblen Reportagen der beiden »Überzeugungstäter«.
»Wir interessieren uns ja wirklich für die Menschen vor unserer Kamera«, sagt Julia Thomas, »und das solllen und können sie auch ruhig merken. Natürlich erzähle ich auch manchmal Begebenheiten aus meinem eigenen Leben, ich könnte es gar nicht anders«. Diese sympathische Offenheit, die unter Reportern heutzutage die Ausnahme sein dürfte, ist freilich alles andere als unprofessionelle Distanzlosigkeit. Ihre unprätentiöse Selbstverständlichkeit im Umgang mit den Portraitierten hat den beiden daher schon manche weit über den Dreh hinaus währende Freundschaft eingetragen...
Menschen erzählen Geschichten, und Geschichten über Menschen sind Julia Thomas und Thomas Steigerwald schon immer die liebsten gewesen. Erstaunlich oft finden sie die »Helden« ihrer Stories aus dem Alltag in und um Fürth, sozusagen in Sichtweite ihres zentrumsnahen »Hauptquartiers«: »Mach Dein Ding« etwa ist ein vierteilige Dokumentation über eine durchaus inhomogene Gruppe Jugendlicher, die gemeinsam ein eigenes Hip-Hop Musical inszeniert und auf die Bühne der Fürther Stadthalle gebracht haben. In »Ich glaube, meine Aufgabe ist es, den Menschen Freude zu bringen« portraitieren sie den längst landesweit bekannten Fürther Entertainer Volker Heißmann und zeigen ihn dabei von einer dem Publikum weitgehend unbekannten Seite. In einem Aufnahmelager für politisch verfolgte Flüchtlinge stellten sie sich der Geschichte des äthiopischen Kunststudenten Sisay Shimeles, der als offizieller Ausgestalter des Expo-Pavillions seines Heimatlandes nach Deutschland kam und dann wegen seines als systemkritisch empfundenen Realismus’ offiziell zur unerwünschten Person erklärt wurde. Ganz anders gelagert und dennoch nicht minder zu Herzen gehend ist der Fall der jungen Moldawierin Anastasia, die vor vielen Jahren mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen ist, sich aber immer noch schmerzlich mit ihrer alten Heimat verbunden fühlt.
»Wir kennen nichts Erfüllenderes, als in andere Lebenswelten einzutauchen«, bezeugen die beiden Filmemacher wie aus einem Munde. Die tiefe Befriedigung, die beide aus ihrer nicht immer streßfreien Arbeit ziehen, ist der Ausgleich dafür, daß mit anspruchsvollen Nischenproduktionen keine materiellen Reichtümer zu verdienen sind. Immerhin zeugen zahlreiche gewonnene Preise davon, daß gute Arbeit zuweilen wenigstens mit fachkundiger Anerkennung von Insidern honoriert wird.
Privat bezahlen die beiden engagierten Medienprofis mit einem Mangel an echter Freizeit: Nach dem Film ist vor dem Film, angesichts der langen Vorlaufzeiten für Recherche, den abzustimmenden Drehterminen und der zeitaufwendigen Nachbearbeitung am Schnittplatz ist ein langer Urlaub seit Jahren nicht drin gewesen. Und das, obwohl er zu Julias großen Wünschen gehört: Wie gerne würde sie ihren Koffer packen und nach Indien oder Südafrika aufbrechen. Ohne Kamera, ohne Mikro, aber natürlich nicht ohne offene Augen und Ohren...
Julia Thomas und Thomas Steigerwald sind zwei der freien Autoren des gemeinnützigen Vereins Medien PRAXIS e.V., der seit 1995 über eine Sendelizenz verfügt für die Ausstrahlung von Reportagen, Dokumentationen und Personenportraits mit sozialem, ökologischem, kulturellem und geschichtlichem Hintergrund. Die im obigen Artikel gezeigten Fotos zeigen die beiden im Fürther Klinikum bei Dreharbeiten zu einer Reportage über die Geschichte des Nathanstiftes.
Pressespiegel: »Die Geschichte des Nathanstifts auf DVD« (FN)
Pressespiegel: »Fürther Filmemacher, die sich lange Recherchen leisten« (FN)
Pressespiegel: »Lokales TV bangt um Finanzen« (FN)
»Begegnungsstube Medina e.V. – Brückenbauer zwischen den Religionen« ist die neueste TV-Reportage von Julia Thomas und Thomas Steigerwald betitelt. Der – wie die vielen unmittelbar nach der Erstaustrahlung des ersten Teils eingegangenen Kommentare zeigen – brandaktuelle Film über das Thema Integration zeigt auf, daß die gängigen Vorurteile gegen Muslime meist gar nichts mit deren Religion zu tun haben, sondern auf traditionelle und kulturell bedingte Verhaltensweisen gemünzt sind und damit den aufgeklärt-modernen Mitbürgern muslimischen Glaubens Unrecht tun.
Die weiteren Sendetermine sind aus der Programmvorschau ersichtlich.
Für ihren Film »Eineinhalb Jahre andersWOHNEN – Einblicke in ein Wohnexperiment« wurden Julia Thomas und Thomas Steigerwald gestern mit einem »BLM-Telly« ausgezeichnet. Die Fürther Nachrichten berichten darüber in ihrem Artikel »Sensible Moderation und interessante Einblicke«.
Der Verein Medien PRAXIS e.V. sucht eine(n) kontaktfreudige(n) Vorstandskollegen/-kollegin aus Fürth oder der näheren Umgebung. Spaß an der Sache ist weit wichtiger als einschlägige Vorbelastung. Näheres dazu steht hier!
Im »Sozialmagazin: Zeitschrift für soziale Arbeit« ist im Februarheft (37. Jg. 2012) auf den Seiten 46 – 50 unter dem Titel: »Klappe auf, Film ab« übrigens ein Interview mit den beiden über ihre Arbeit erschienen. Das Interview führte Alfons Limbrunner.
Soeben hat der gemeinnützige Verein Medien PRAXIS e.V. seine neueste DVD-Produktion veröffentlicht: Julia Thomas und Thomas Steigerwald haben anläßlich des internationalen Klezmer-Festivals Fürth die Reportage »Faszination Klezmer – zwischen Tradition und Weltmusik« gedreht und geschnitten, in der bekannte und berühmte Größen des Genres zu sehen und – vor allem – zu hören sind.
Ein Trailer auf YouTube gewährt erste Einblicke in die knapp einstündige Produktion.
Wer gerade zu bequem oder wem es zu kalt ist, die eigenen vier Wände zu verlassen, um sich im schönen Fürther Stadtpark zu entspannen, der kann es ja mal auf auf visuelle Art versuchen – mit unseren Impressionen aus dem Herbst und Winter im Stadtpark.