Humanitäre Hilfe aus Fürth – Mit dem Frankenkonvoi unterwegs
18. Mai 2017 | von Robert Söllner | Kategorie: Der besondere BeitragEnde 2015 begleitete ich die Fürther Hilfs-Initiative »Frankenkonvoi« auf einer Fahrt entlang der sogenannten Balkanroute. In einem Notizbuch habe ich damals meine Reiseeindrücke festgehalten und sie erst dieser Tage wieder gelesen. Sie könnten für die LeserInnen der »Fürther Freiheit« von Interesse sein, denn um Freiheit geht es dabei letztlich auch, in einem ganz persönlichem Sinne...
Mitten in einer Novembernacht in Osteuropa: Ein Feld in der Nähe einer mittelgroßen Grenzstadt. Zwei Gleise. Es ist kalt, Regen, Schneeregen, Schlamm. Flutlicht beleuchtet Zäune, Militär, Polizei. Das Lager ist in sogenannte Sektoren unterteilt. Riesige Zelte mit hunderten Etagen-Feldbetten. Lagerhallen und Zelte gefüllt mit Kleidern. Züge und Busse kommen an, manchmal mit 500, manchmal mit 1000 Menschen drin. Die steigen aus, müssen sich anstellen, werden registriert. Polizisten rufen, treiben an, durchsuchen den leeren Zug. Die Menschen müssen sich in Zweierreihen aufstellen. Nach der Registrierung sollen sie entweder in die Zelte der Sektoren oder in den nächsten Zug, der sie weiter bringt. Schnell soll es gehen.
Bei einem Deutschen lösen diese Szenen sehr verstörende Assoziationen aus. Es handelt sich aber »nur« um ein Durchgangslager für Flüchtlinge auf der sogenannten Westbalkanroute – vielleicht sogar das am besten organisierte Lager, sicher eines der größten. Die Zelte sind beheizbar, das Lager ist als Wintercamp geplant. Die Polizisten rufen »Jalla, Jalla!«. Dass das nur die arabisch sprechenden Flüchtlinge verstehen, scheint sie nicht zu kümmern. Viele sprechen kein Englisch (etliche der Flüchtlinge nicht und auch die meisten der Polizisten wohl nicht). Manche Beamte sind freundlich, auch Menschen. Nicht alle. Die Abläufe sind sehr gut organisiert. 1000 Vertriebene werden innerhalb weniger Stunden erfasst (Registrierung, Fotos, Papierkram) – da könnten sich deutsche Behörden ein Beispiel nehmen, würden aber vermutlich mangelnde Gründlichkeit beklagen.
Die Flüchtenden kommen zum überwiegenden Teil aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Menschen aus anderen Herkunftsländern wurden bereits weiter südlich selektiert (da ist wieder eines dieser Wörter, die einen kurz zusammenzucken lassen). Wer es bis hierher, an die Grenze des EU-Landes Kroatien geschafft hat, gehört inzwischen zu den Glücklichen, die sich auch Chancen auf ein Leben in Frieden ausrechnen können. Viele sind als Familie unterwegs. Man sieht viele Kinder, Babys. Mittlerweile auch einige junge Männer mit Beinverletzungen. Die meisten sind unzureichend gekleidet, manche Kinder haben keine Schuhe an. Das Gepäck beschränkt sich auf Plastiktüten, einige haben Rucksäcke und Taschen. Freiwillige Helfer verteilen Kleidungsstücke, Regenschutz, Essenspakete. Es sind Ärzte da. Erschöpfung steht in den meisten Gesichtern, aber daneben auch etwas Zuversicht.
Außer den großen Hilfsorganisationen (UNHCR, Rotes Kreuz etc.) sind sehr viele freiwillige Helfer vor Ort. Neben dem gelegentlich etwas überorganisiert wirkenden Abläufen der Hilfsorganisationen, wirken die kleinen Nichtregierungsorganisationen auf eine liebenswerte Art chaotisch und trotzdem außerordentlich effektiv. Es fällt das Wort bzw. der Vergleich vom Ameisenstaat. Es wird wenig besprochen und viel getan. Viele junge Leute aus der ganzen Welt sind da und helfen. Für mich persönlich, in einer Zeit, in der immer wieder die Rede von mangelndem Engagement »der Jugend« ist, sicher die nachdrücklichste Erfahrung dieser drei Tage. Leute aus ganz Europa, aus Südamerika und sogar aus Australien, die sich bei 0°C in Schneeregen und Schlamm stellen, um zu helfen. Sie tun das, ohne sich zu profilieren, ohne die Hoffnung auf eine politische Karriere und ohne dass irgendjemand sie da hingeschickt hätte.
Ein junger tschechischer Programmierer sucht um 3.00 Uhr morgens Jacken für frierende Flüchtlinge, während seine Mitstreiterinnen aus der Schweiz Mützen an kleine Kinder verteilen. Kroatische Aktivistinnen arbeiten daneben, übersetzen für die Polizei und unterstützen die ausländischen Freiwilligen, indem sie Schlafplätze, Duschen und Essen zur Verfügung stellen. Die Leute haben sich Urlaub genommen oder lassen ihr Studium ruhen, mache haben ihren Job gekündigt. Argumente manch’ besorgter Bürger aus Deutschland und die ihrer Sprachrohre in PEGIDA, AFD, CSU wirken neben dem Tun dieser Freiwilligen geradezu lächerlich. Meinen allergrößten Respekt.
Es ist nicht erlaubt, in dem Camp zu fotografieren. Um die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen nicht zu gefährden, wollte ich es auch heimlich nicht übertreiben. Deshalb ist dieser Beitrag etwas textlastig. Wer etwas spenden oder etwas tun will, um die Hilfe dieser Menschen zu unterstützen, kann sich an Tom Geisbüsch bzw. seinen Frankenkonvoi wenden.
Robert Söllner ist ein Fürther Fotograf.