Ech­ter SPD-Witz?

18. Juli 2014 | von | Kategorie: Politik

»Plötz­lich emp­find­lich« be­ti­telt die Süd­deut­sche Zei­tung (SZ) ei­nen Kom­men­tar von Ni­co Fried über den Aus­tritt ei­ni­ger wich­ti­ger So­zi­al­de­mo­kra­ten aus dem par­tei­in­ter­nen Fo­rum De­mo­kra­ti­sche Lin­ke (DL21). Die Aus­trit­te wa­ren ei­ne Re­ak­ti­on auf kri­ti­sche Stel­lung­nah­men der DL21-Vor­sit­zen­den Hil­de Matt­heis zum Min­dest­lohn­ge­setz.

Nach Meinung von OB Jung verhalten sich Andersdenkende "demokratiefeindlich" (Foto: Alexander Mayer)

Nach Mei­nung von OB Jung ver­hal­ten sich An­ders­den­ken­de »de­mo­kra­tie­feind­lich« (Fo­to: Alex­an­der May­er)

Un­ter den de­mon­stra­ti­ven Aus­trit­ten fin­den sich Mi­ni­ste­rin An­dre­as Nah­les und Staats­se­kre­tär Flo­ri­an Pro­nold. Noch vor we­ni­gen Jah­ren wa­ren sie laut­star­ke Kri­ti­ker der Agen­da 2010, be­schlos­sen auf dem SPD-Son­der­par­tei­tag im Ju­ni 2003. Bei­de hat­ten ih­ren An­teil dar­an, dass die SPD als zer­strit­te­ner Hau­fen er­schien, was bei der Bun­des­tags­wahl 2005 zum Ab­sturz der SPD und zum En­de der Re­gie­rung Schrö­der führ­te. Dass nun aus­ge­rech­net Nah­les und Pro­nold, kaum dass sie auf der Re­gie­rungs­bank sit­zen, so emp­find­lich auf an­geb­lich »auf­ge­heiz­te Dis­kus­si­ons­bei­trä­ge« re­agie­ren, ist schon ein »ech­ter SPD-Witz«, meint Ni­co Fried in der SZ.

Mit »SPD-Wit­zen« kön­nen wir in un­se­rem Pro­vinz­städt­chen Fürth aber auch reich­lich die­nen. Bei­spiels­wei­se er­re­gen sich man­che SPD-Po­li­ti­ker dar­über, dass man Ober­bür­ger­mei­ster Jung die An­nä­he­rung an Wal­d­imir Pu­tins De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis vor­wirft. Wie selt­sam: Geht nicht der letz­te SPD Kanz­ler Ger­hard Schrö­der zu je­der pas­sen­den und jüngst auch zu we­ni­ger pas­sen­den Ge­le­gen­heit auf Wall­fahrt zu sei­nem »Freund« Pu­tin, mit­un­ter auch zu aus­ge­las­se­nen Fei­ern? Als Staats­mann oder ‑frau ist man/frau zu sol­chen Din­gen in ge­wis­sem Ma­ße ver­pflich­tet, das ist Schrö­der aber be­kannt­lich nicht mehr. So­zi­al­de­mo­krat Ger­hard Schrö­der macht das aus frei­en Stücken und scheint da­mit kein gra­vie­ren­des Pro­blem beim De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis Pu­tins zu se­hen.

Pu­tins De­mo­kra­tur

Was ist ei­gent­lich das Pro­blem mit Pu­tins De­mo­kra­tie oder De­mo­kra­tur, wie sie mit­un­ter ge­nannt wird? Pu­tin ist in frei­en Wah­len ge­wählt. Es gibt zwar Kla­gen über ein­zel­ne Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten. An­ge­sichts der Grö­ße des Lan­des und der Tat­sa­che, dass Russ­land erst­ma­lig 1991 ei­nen Prä­si­den­ten de­mo­kra­tisch wähl­te und zu­vor ei­ne Dik­ta­tur un­ter so­zia­li­sti­schen Deck­män­tel­chen war, sind Pro­ble­me nicht ver­wun­der­lich und nach all­ge­mei­nem Da­für­hal­ten nicht so schwer­wie­gend, dass man Pu­tin das Prä­di­kat de­mo­kra­tisch ge­wählt ab­spre­chen könn­te. Wie dem auch sei, das Pro­blem von Pu­tins De­mo­kra­tur liegt eher wo­an­ders, wie wei­ter un­ten zu zei­gen ist.

Bei sei­ner Wahl im Jah­re 2004 er­reich­te Pu­tin 73 Pro­zent Stim­men­an­teil, al­so ge­nau so viel wie Ober­bür­ger­mei­ster Tho­mas Jung bei der dies­jäh­ri­gen Kom­mu­nal­wahl. Und ge­nau mit Blick auf die­se 73 Pro­zent mein­te Jung ge­gen­über der Nürn­ber­ger Zei­tung (NZ), dass er sich nicht an Pu­tins De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis an­nä­he­re und an­ders­lau­ten­de Be­haup­tun­gen ei­ne Be­lei­di­gung für sei­ne 73 Pro­zent sei­en. Man könn­te jetzt spitz­fin­dig sein und sa­gen, da­mit be­lei­di­ge er die 73 Pro­zent rus­si­scher Wäh­ler, die Pu­tin ge­wählt ha­ben.

Der Punkt liegt aber wo­an­ders, und in der Be­hand­lung des Ver­ständ­nis­pro­blems müs­sen wir ge­ra­de in Hin­blick auf die Für­ther SPD be­tont päd­ago­gisch vor­ge­hen. Da­bei kam der Zu­fall zu Hil­fe, in Form ei­ner Bu­ches. Nein, kein hoch­tra­ben­des po­li­tik­wis­sen­schaft­li­ches Werk über die De­mo­kra­tie und mehr, son­dern »Durch­blick 10«, das GSE-Schul­buch (Ge­schich­te, So­zi­al­kun­de, Erd­kun­de) für die Haupt­schu­len in Bay­ern, M‑Zweig (Mitt­le­re Rei­fe). Aus ge­ge­be­nem An­lass hat sich der Ver­fas­ser die­ser Zei­len das GSE-Buch kürz­lich recht ge­nau an­ge­schaut und ver­ein­zelt über­ra­schend Wis­sens­wer­tes ge­fun­den.

Wis­sens­wer­tes zum Durch­blick

So ist in »Durch­blick 10« zu le­sen, dass der An­teil der po­li­tisch In­ter­es­sier­ten von 55 Pro­zent im Jah­re 1984 auf ak­tu­ell un­ter 39 Pro­zent sank. Ähn­lich die Wahl­be­tei­li­gung in Fürth, von 66,2 Pro­zent im Jah­re 1984 auf 45,2 Pro­zent im Jah­re 2014, al­so ein deut­lich stär­ke­rer Rück­gang. Der über­wie­gen­de Teil der Wäh­ler hält die Kom­mu­nal­wahl für nicht so wich­tig, als dass man hin­ge­hen müss­te. Viel­leicht kann der Durch­schnitts­wäh­ler auch re­la­tiv we­nig mit den Kan­di­da­ten an­fan­gen. Wie es auch sei, zu be­mer­ken bleibt: Bei nur 45,2 Pro­zent Wahl­be­tei­li­gung ist OB Jung im Jah­re 2014 von nur 33 Pro­zent al­ler Wahl­be­rech­tig­ten ge­wählt wor­den.

Und dann kom­men wir im GSE-Buch »Durch­blick 10« zum Ka­pi­tel »Mei­nungs­bil­dung im de­mo­kra­ti­schen Staat« und dort fin­den wir den sprin­gen­den Punkt, das Pro­blem im De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis von Pu­tin und Jung: »In un­se­rer Ge­sell­schaft gibt es zu den mei­sten Pro­ble­men ganz un­ter­schied­li­che Mei­nun­gen und In­ter­es­sen. Das ist nicht nur er­laubt, es ist so­gar ge­wünscht.« – We­ni­ger al­ler­dings in Russ­land und in Fürth, wie ein­zu­wer­fen ist. Denn so­wohl Pu­tin wie auch Jung sind mit­un­ter der Mei­nung, dass nach ih­rer Wahl und even­tu­ell noch nach der von ih­nen durch­ge­setz­ten Par­la­ments- oder Stadt­rats­ent­schei­dung der De­mo­kra­tie ge­nü­ge ge­tan und der Plu­ra­lis­mus vor­bei ist. Die Bei­spie­le für Pu­tin spa­re ich mir hier, sie dür­fen ent­we­der als be­kannt vor­aus­ge­setzt wer­den oder sind bei­spiels­wei­se in Bo­ris Reit­schu­sters Buch »Pu­tins De­mo­kra­tur: Ein Macht­mensch und sein Sy­stem« nach­zu­le­sen.

An­ders­den­ken­de de­mo­kra­tie­feind­lich ?

Und Jung? Er be­zeich­ne­te en­ga­gier­te Bür­ger und Ver­ei­ne als »de­mo­kra­tie­feind­lich«, weil sie es wag­ten, die Ab­riss­po­li­tik der Stadt Fürth zu kri­ti­sie­ren, das so­gar ganz öf­fent­lich und noch da­zu vor dem Hin­ter­grund ei­ner rechts­wid­ri­gen Ab­riss­ge­neh­mi­gung, was da­mals schon ab­zu­se­hen war. So ge­sche­hen am 21. Ju­ni 2013 vor der Stadt­hal­le (sie­he Bild, zum Ver­grö­ßern an­klicken). Oder als vor Jah­ren, im No­vem­ber 2008, die An­kün­di­gung der Grün­dung ei­ner Bür­ger­initia­ti­ve ge­gen das Pro­jekt Neue Mit­te in der da­ma­li­gen, heu­te ein­hel­lig ab­ge­lehn­ten Form (ge­schlos­se­ne Shop­ping Mall) in der Pres­se er­schien, warf OB Jung mit fol­gen­den Be­grif­fen um sich: »Maß­lo­se Po­le­mik«, »Welt­un­ter­gangs­stim­mung« wer­de ge­schürt, »um sich zu pro­fi­lie­ren«‚ »eine der größ­ten Zu­kunfts­chan­cen der Stadt« wer­de ge­fähr­det etc. etc. – An­ders­den­ken­de stel­len für OB Jung of­fen­sicht­lich ein ganz per­sön­li­ches Pro­blem dar.

Aber wie­so al­les so ernst neh­men? Es han­delt sich doch be­stimmt nur wie­der um ei­nen »SPD-Witz«. Man könn­te sich nur noch fra­gen, ob echt oder un­echt...

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4 Kommentare zu »Ech­ter SPD-Witz?«:

  1. Jürgen Dengler sagt:

    Ein sehr schlim­mes zwi­schen­mensch­li­ches Dra­ma. Sehr trau­rig.

  2. Ute Schlicht sagt:

    »An­ders­den­ken­de stel­len für Herrn Jung ein per­sön­li­ches Pro­blem dar...« Oh ja!

    Die­se Be­haup­tung kann ich un­ter­schrei­ben. Herr Jung hält sach­li­che Dif­fe­ren­zen für per­sön­li­che Be­lei­di­gun­gen, das ist auch mei­ne Er­fah­rung. Wer jah­re­lang gut mit ihm aus­kam, dann aber ent­setzt fest­stellt, dass auch für OB Jung Pfle­gen von »Seil­schaf­ten« und »Vet­tern­wirt­schaft« zur po­li­ti­schen »Ar­beit« ge­hö­ren, darf ihn da­für nicht öf­fent­lich ta­deln, sonst lan­det er/sie in der Schub­la­de »Geg­ner«, wenn nicht gar »Feind«. Trotz al­le­dem spricht Herr Jung ger­ne von sei­nem »De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis« – da fra­ge ich mich schon, wie näm­li­ches aus­sieht.

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