Bekenntnisse zur SpVgg
11. November 2012 | von Alexander Mayer | Kategorie: SportIch könnte es kurz machen: Fußball interessiert mich nicht die Bohne. Punkt. Und das Ende? Vermutlich würden die Schlagzeilen in etwa so lauten: Nach seinem skandalösen Outing wurde Fürths Stadtheimatpfleger noch vor einem gewissen Bewohner der Gustavstraße geteert und gefedert, danach auf einer U‑Bahn Schiene über die Stadtgrenze in die östliche Nachbargemeinde getragen, der Reisepass für Fürth eingezogen, Visa-Erteilung unter Vorbehalt gestellt etc. etc.
Aber ich kann doch einiges zu meiner Verteidigung vorbringen. Wenngleich ich aufgrund meines Desinteresses für Fußball sicherlich unglaubwürdig wirke: Selbstverständlich bin ich ein Fan der SpVgg. Der Weg dazu, den wollte ich schon immer in einer meiner vielen schlaflosen Nächte (»Denke ich an die Neue Mitte bei der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht«) niederschreiben und die ist jetzt gekommen.
Doch zunächst kommt es noch schlimmer. Mein Vater stammt aus Frankfurt, zunächst war er vermutlich ein Eintracht-Fan. Als er 1951 von Grundig nach Fürth geholt wurde, da wurde er Fan vom ... nein, wie sagte Ministerpräsident Philipp Scheidemann, als er den Versailler Vertag unterschreiben sollte: Die Hand möge verdorren, die den Namen dieses Vereins niederschreibt.
Erste Kontakte in den 70ern
So kam es, dass mir SpVgg-Fans spät, erstmals in den 70er Jahren, am Hardenberg auffielen und das vor allem durch ihre hängenden Schultern, montags waren sie in aller Regel äußert schlecht gelaunt. Die großen Zeiten der Spielvereinigung waren seinerzeit vorerst vorbei, die deutschen Meisterschaften von 1914, 1926 und 1929 lange her. Den Einstieg in die 1963 neu geschaffene Bundesliga hatte die SpVgg nicht geschafft, es kam eine leidvolle Zeit für die Fans.
Immerhin erinnere ich mich an die große Aufregung vom 21. Januar 1973: Im 209. Derby stürmten Nürnberger Glubb-Fans das Spielfeld und zündeten Raketen. Als eine Rakete neben dem Schiedsrichter einschlug, kam es zum Spielabbruch und zunächst zu einem skandalösen Punktabzug trotz des Spielstandes von 4:2 zu unseren Gunsten, die Begründung lautete: Die SpVgg habe in ihrem Stadion die Ordnung nicht aufrecht erhalten können. Die Glubb-Fans zogen unter hämischen Schlachtgesängen ab. Ein damals Gleichaltriger war im Gegensatz zu mir dabei, er erinnert sich sehr lebhaft an den Vorfall und schrieb es im SpVgg-Forum nieder: »Ich war mit meinem Onkel, einem Glubb-Fan, das erste Mal beim Fußball. Er wollte mir den tollen Ostverein zeigen. Seit diesem Tag weiß ich, wo ich hingehöre und gehe in den Ronhof. Das sind jetzt 39 Jahre.« Die Spruchkammer des Süddeutschen Fußball-Verbandes (SFV) erkannte dem Ostverein dann beide Punkte aus sportlichen Gesichtspunkten ab, da die Zwischenfälle eindeutig von Ostverein-Fans ausgingen. Eine Berufung des Ostvereins wurde im April vom SFV abgewiesen, eine große Genugtuung für alle Fürther.
Das änderte jedoch nichts an den Misserfolgen und am 16. September 1978, nach 5 Niederlagen in Folge, machten enttäuschte Kleeblatt Fans ihren Ärger über den derzeitigen Leistungsstand der SpVgg Luft: Mitten auf dem Spielfeld im Ronhof hoben sie eine Grube aus, füllten sie mit Kartoffeln und stellten ein Transparent darüber, die Aufschrift verkündete: »Nach 18 Jahren Stümperei fordern wir: Lieber gute Kartoffeln, statt schlechten Fußball.«- Der Wunsch nach guten Kartoffeln konnte in den meisten Folgejahren erfüllt werden... aber bezüglich des Fußballs wollen wir hier vor allem über die 80er Jahre das barmherzige Tuch des Schweigens ausbreiten.
In den 70ern hatte ich einen guten Freund, der in erster Linie dadurch auffiel, dass er ein marxistisch-leninistisches Lexikon auswendig lernte, während die anderen Klassenkameraden Mädchen hinterherliefen oder sonstigen einschlägigen Vergnügungen nachgingen – einzige Ausnahme: dieser Freund spielte Fußball und war SpVgg-Fan – ein durchaus ernsthafter Mensch, sehr belesen und engagiert, heute promovierter Fachmann für Entwicklungspolitik mit vielen Veröffentlichungen. Einen Kulturschock besondere Art bereitete er mir, als er mich eines Tages fragte: »Kennst Du den Schlachtruf der Spielvereinigung Fürth?« Schon alleine ob der Frage leicht irritiert antworte ich, dass ich den selbstverständlich nicht kenne. Darauf sagte er mir in allem Ernst: »Unser Schlachtruf heißt: Dsching-Dschang-Dschung, Spielvereinigung«. – Unter mir tat sich ein Abgrund auf – in eine für mich völlig unverständliche Welt.
Entdeckung im Stadtarchiv
Der eigentliche Anfang kam für mich im Jahre 1996, natürlich nicht auf dem Sportplatz, den ich Zeit meines Lebens konsequent mied. Es würde wohl niemand darauf kommen, wo ich meinen ganz persönlichen Weg zur SpVgg fand: im Stadtarchiv. Ich saß damals über die in schöner Kurrent-Handschrift verfasste Stadtchronik von Paul Rieß. Und dort stieß ich auf die spannende Schlaglichter auf die Zeit vor der ersten Meisterschaft, oder besser gesagt die Wahrnehmung dieser Vorgeschichte durch den Stadtchronisten. Lassen wir Paul Rieß zu Wort kommen.
Kurz nachdem Rieß die Stadtchronik übernommen hatte, am 17. April 1911, spielte die SpVgg vor etwa 5.000 Zuschauern gegen Circle Athlethique de Paris (Ergebnis: 9:1). Angelegentlicher Kommentar von Chronist Rieß: »Dem Fußballsport wird in hiesiger Stadt stark gehuldigt. Es finden jeden Sonntag Spiele statt, welche trotz der ziemlich hohen Eintrittspreise (Tribüne Sitzplatz 1,50 Mark, Tribüne Stehplatz 1,- Mark, 1. Platz 80 Pfennig, 2. Platz 60 Pfennig, Kinder 30 Pfennig) stark besucht werden. Zur Zeit sind 13 Vereine in Fürth, welche diesen Sport betreiben: An erster Stelle steht die Spielvereinigung mit 800 Mitgliedern ... Die Spielvereinigung hat einen Trainer aus England engagiert, gegen eine Gage von 280 Mark monatlich.« Am 25. Februar 1912 schlug die SpVgg im Endspiel um die Ostkreismannschaft in München vor circa 4.000 Zuschauern die Fußball-Abteilung »Wacker« des Sportklubs Monachia mit 8:0 Toren. Die Sieger fuhren sofort nach Beendigung des Spiels mit dem D‑Zug nach Fürth, wo sie abends von einer nach (Zitat Paul Rieß) »tausenden zählenden Volksmenge mit ungeheurem Jubel empfangen und von rund 200 Fackelträgern in das Vereinslokal der Spielvereinigung, Restauration Langmann, Friedrichstraße, geleitet (wurden). Die Spielführer Burger sowie Seidel, welche mit riesigen Lorbeerkränzen umhangen waren, wurden auf den Schultern getragen.«
Am 29. Mai 1912 schrieb Rieß folgendes nieder: »Bei dem heute auf dem Sportplatze der Spielvereinigung Fürth stattgefundenen Spiele: Spielvereinigung gegen Woolwich Arsenal blieben wie nicht anders zu erwarten war, die englischen Berufs-Fußballspieler mit 6:0 Sieger«. Das Mutterland des Fußballs ließ damals noch standesgemäß grüßen. Am 4. September 1912 heißt es in der schönen Handschrift von Rieß: »Der größte Fußballverein Deutschlands ist die Spielvereinigung Fürth, welche über 1.500 Mitglieder zählt.« Gehen wir zwei Jahre weiter. So findet sich für den 29. März 1914 der Eintrag: »Das Endspiel um die süddeutsche Fußballmeisterschaft wurde heute auf dem Sportplatze der Spielvereinigung (Ronhoferstrasse) unter ungeheurer Beteiligung (circa 10.000 Personen) zwischen Spielvereinigung Fürth u. Verein für Rasenspiele Mannheim ausgetragen. Resultat 4:1. Den Siegern wurden mächtige Lorbeerkränze überreicht u. unter ungeheuren Jubel wurde die wackere Mannschaft von einer viel tausendköpfigen Menge begeisterter Anhänger unter Vorantritt einer Musikkapelle in ihr Stammlokal Langmann begleitet. Ueber 80 Telegramme u. Glückwunschschreiben aus dem In- und Ausland trafen ein... Fürth kann stolz sein auf die wackere ‘Spielvereinigung’, die dazu beiträgt, den Namen unserer Vaterstadt immer weiter u. weiter zu verbreiten. Hipp, Hipp, Hurra dem Süddeutschen Meister.« Ähnliches ist für den 15. März 1914 vermerkt, dem Endspiel um die süddeutsche Fußball-Meisterschaft in Stuttgart: SpVgg-Stuttgarter Kickers 4:3. Als die Sieger gegen 24 Uhr am Bahnhof eintrafen, werden sie von einer »vieltausendköpfigen« Menge mit großem Jubel empfangen.
Erste Meisterschaft
Am 31. Mai 1914 kam es zum denkwürdigen Endspiel um die deutsche Meisterschaft in Magdeburg: SpVgg – Verein für Bewegungsspiele (VfB) Leipzig nach Verlängerung 3:2. Damit konnte die SpVgg drei Meisterschaften auf sich vereinen: Ostkreis‑, Süddeutsche- und die Deutsche Meisterschaft. Und so kam es zum lange Zeit legendären Pfingstmontag 1914 (1. Juni): Lange vor der Ankunft der SpVgg sind am Bahnhofsplatz, in der Max‑, Friedrichs- und Weinstraße [heute R.-Breitscheid-Str.] »solch ungeheure Menschenmassen angesammelt, daß der Straßenbahnbetrieb eingestellt werden mußte«. Der Autokorso – angeführt von einer Kapelle – gleicht einem Triumphzug, die Automobile kommen nur im Schneckentempo vorwärts und brauchen vom Bahnhof zum Geismannssaal mehr als eine Stunde. Nach diese Ankunftsfeier gab es am 25. Juni 1914 noch einen Ehrenabend der SpVgg für die siegreiche Elf, am selben Tag war die politische Großwetterlage schon stark verdüstert, Paul Rieß vermerkte just am Tag des SpVgg Ehrenabends: »Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Oesterreich und Serbien versetzte die hiesige Bevölkerung in starke Aufregung. Die Depeschentafeln der Zeitungen waren fortgesetzt belagert. Extra-Blätter erscheinen. Man denkt allgemein, daß ein Weltkrieg zum Ausbruch kommt«. – So kam es dann auch und schon im September fiel der erste Spieler der Meisterelf im Weltkrieg.
Mike Büskens und der Everest
Und wie erlebt der an Fußball desinteressierte Fürther fast 100 Jahre später den Aufstieg? Nun, Trainer Mike Büskens hat mir die ersehnte Vorlage gegeben, so dass ich trotz völliger Inkompetenz in Sachen Fußball auch mitreden kann, bemühte er doch mehrfach das Bild einer Mount-Everest-Besteigung. So heißt es etwa im Aufstiegs-Interview der Bild Zeitung zur Frage »Wie schwierig war der Aufstieg?«: »Wir haben der Mannschaft immer wieder gesagt, es gilt den Mount Everest zu bezwingen. Wir haben den Jungs die Basis-Camps gezeigt. Jetzt haben wir den Gipfel erreicht.« Später hieß es dann nach dem ersten Sieg in Mainz, in der Liga zu bleiben »ist wie den Mount Everest zu besteigen – bis zur Spitze ist es noch ein weiter Weg«. Auch nach dem ersten Punkt in Mainz hieß es dann als Schlagzeile in der Lokalzeitung: »Fürths erst Schritte in Richtung Gipfel des Mount Everest«.
Es wird zwar nicht ganz klar, ob die Everest-Besteigung nun der Aufstieg in die 1. Liga war, der Klassenerhalt sein soll oder vielleicht (mittelfristig, versteht sich) die Meisterschaft wie 1914 (aber bitte dann ohne darauffolgenden Weltkrieg). Egal, den Ball nehme ich auf: Auf dem Mount Everest war ich freilich nicht, aber ziemlich nahe und auf der Höhe des Basislagers. Und so kann ich dank Mike Büskens doch mitreden. Zunächst einmal behaupte ich jetzt einfach mal, dass meiner Einschätzung nach gut 3/4 aller Mitmenschen nicht bis zum Basislager kommen, vom Gipfel ganz zu schweigen. Da gibt es einige Gründe, vor allem ist – die SpVgg höre – die Höhenanpassung ein Problem. Und die ist nicht unbedingt abhängig von der Kondition auf Meereshöhe (oder durchschnittlich 300 Meter darüber wie hier in Fürth). Der erste Bezwinger des Everest, Edmund Hillary, kümmerte sich später recht emsig um die dortige Region und er hat auf dem Weg zum Everest in der Ortschaft Kunde eine kleine Klinik gegründet. Dort wird jedem »Trekker« eingebläut: Vom Flugplatz Lukla (wo heute die meisten Trekker losgehen) bis zur letzten dauerhaft bewohnten Ortschaft Gorak Shep (acht Kilometer vor dem Everest) sollst du Dir neun Tage Zeit nehmen, auch wenn Du es theoretisch schneller schaffst und die meisten Trekking-Gruppen deutlich schneller hochlaufen. Das habe ich leider auch gemacht und ab 5.000 Meter Höhe ging es mir dann gar nicht mehr so gut. Ich will jetzt nicht immer dazuschreiben, was ich jetzt und im Folgenden damit zur Situation der SpVgg in der 1. Bundesliga sagen will, ich denke, das kann sich jeder selbst zusammenreimen.
Höhenanpassung ist gefragt
Kommen wir zurück zum Ausgangspunkt der Reise, dem Flugplatz Lukla auf 2860 Meter Höhe. Um hinaufzukommen, muss man mitunter einige Tage im Inlandsflughafen der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu verbringen, bis man – mitunter eingeklemmt zwischen Stullen essenden Piloten – hinaufkommt. Es sind kleine Flugzeuge, die dort oben landen, es passen 12 Passagiere hinein, eine Mannschaft mit Trainer. Als ich 2008 im Himalaya war, flog eine solche Maschine in den Wolken an und das etwas zu tief, knallte gegen die Felswand unter dem Rollfeld, 12 Tote, alles Deutsche und Österreicher, zumeist Paare. Seitdem gilt bei mir: Flug nur bei klarer Sicht. Lukla ist neun Tagesmärsche und fast 3000 Höhenmeter vom Basislager entfernt. Nun gibt es ein paar Superschlaue, die lassen sich gleich viel höher fliegen, auf 3720 Meter gibt es noch eine Piste, direkt daneben sogar eines der wenigen guten Hotels da oben (die Regel sind ansonsten Bretterverschläge). Vom Flugfeld dort sind es gut 10 Treppenstufen zum Hoteleingang. Nur: Manche, die unvermittelt auf 3720 Meter fliegen, kommen diese zehn Stufen dann nicht mehr hoch!
Aber auch für diejenigen, die von Lukla hochlaufen, gilt: Wer das zu schnell macht, der liegt dann nachts in seinem Schlafsack und kann nicht schlafen, weil er zu ersticken meint. Und wer einsam ohne Luft im Schlafsack liegt, der bekommt auch Probleme mit der Psyche, da läuft dann das Kopfkino und das ist nicht erholend, das drückt sich durch auf den Tag. Die grandiose Landschaft, diese unglaublichen Höhen und Weiten können das dann auch nicht immer kompensieren. Und wenn es dann jemanden mit der Höhenkrankheit ganz hart trifft, bei dem hilft nur noch der Hubschrauber und runter so schnell wie möglich. Will das die SpVgg?
Also, liebe Mannschaft, lieber Trainer: Gelassenheit, erst mal Höhenanpassung, die überwältigende Aussicht genießen und bei erfolgter Höhenanpassung den Aufstieg bis ganz an die Spitze – wenn es soweit ist, kommt es von selbst wie damals im Mai … und gerade als ich diese Zeilen schreibe, höre ich im Radio: 1:1 gegen Eintracht Frankfurt und der Moderator meint hierzu: »Die Art zu spielen, lässt bei der SpVgg in Zukunft auf mehr hoffen« – na also.