Lie­be Au­to­fah­rer in der Ama­li­en­stra­ße

1. August 2010 | von | Kategorie: Verkehr

Ei­ne klei­ne An­mer­kung vor­weg: Die Ama­li­en­stra­ße steht hier nur ex­em­pla­risch für vie­le an­de­re Stra­ßen in Fürth. Ich ha­be sie nur aus­ge­wählt, weil ich die im fol­gen­den be­schrie­be­nen Er­fah­run­gen täg­lich dort ma­che.

Es ist rüh­rend, wie ihr um mei­ne Ver­kehrs­si­cher­heit be­sorgt seid. Um mir mit­zu­tei­len, dass ich als Rad­ler in ge­nann­ter Stra­ße doch auf dem Rad­weg fah­ren mö­ge, gebt ihr euch wirk­lich Mü­he:

Radstreifen an der Amalienstraße (Foto: Magnus Gertkemper)

Die Ama­li­en­stra­ße aus der Rad­ler­per­spek­ti­ve
(Fo­to: Ma­gnus Gertk­em­per)

Ihr kur­belt die Schei­be run­ter, um mir im Vor­über­fah­ren schnell ein »Rad­weg!« zu­zu­zi­schen. Wäh­rend ihr mich über­holt, re­du­ziert ihr eu­re Ge­schwin­dig­keit und teilt mir aus­führ­lich mit, dass ich doch auf den Strei­fen auf dem Geh­weg wech­seln soll­te. Wenn eu­re Zeit ein Ab­brem­sen nicht er­laubt, so zeigt ihr mir zu­min­dest durch die Heck­schei­be die rich­ti­ge Spur an. Wenn ihr rich­tig viel Zeit habt (das kommt dann doch sel­ten vor), so zieht ihr nach dem Über­hol­vor­gang schnell wie­der rechts rü­ber und bremst, um eu­rem Hin­weis auf mein Wohl­erge­hen freund­lich Nach­druck zu ver­lei­hen und mich zu ei­nem si­cher­heits­tech­nisch not­wen­di­gen Funk­ti­ons­test mei­ner Brem­sen zu brin­gen.

Ich schät­ze das al­les sehr, je­doch: Ich wer­de nicht auf euch hö­ren, denn der auf dem Geh­weg an­ge­deu­te­te Weg ist holp­rig, re­gel­mä­ßig von Müll­ton­nen und par­ken­den Au­tos ver­sperrt. An den Ein­mün­dun­gen muss man stän­dig brem­sen oder an­hal­ten, da so­wohl von der als auch auf die Ama­li­en­stra­ße ein­bie­gen­de Kfz mei­ne Vor­fahrt igno­rie­ren. Und auch mei­ne mit­ra­deln­den Mit­bür­ger sind ein Pro­blem, da vie­le von ih­nen das in der StVo ver­an­ker­te Rechts­fahr­ge­bot schlicht­weg miss­ach­ten.

Aber der wich­tig­ste Grund ist der fol­gen­de: Ich muss den Strei­fen nicht be­nut­zen, ich darf auf der gut asphal­tier­ten, un­ver­sperr­ten Fahr­bahn fah­ren. Es gibt näm­lich ent­lang der Ama­li­en­stra­ße kei­nen be­nut­zungs­pflich­ti­gen Rad­weg.

Blät­tern wir ein­mal ein we­nig in der Ge­schich­te der Rad­wegs­be­nut­zungs­pflicht in Deutsch­land. Zur Ein­füh­rung die­ser Pflicht fin­det sich fol­gen­de Mit­tei­lung der zu­stän­di­gen Be­hör­de:

»Zei­gen wir dem stau­nen­den Aus­län­der ei­nen neu­en Be­weis für ein auf­stre­ben­des Deutsch­land, in dem der Kraft­fah­rer nicht nur auf den Au­to­bah­nen, son­dern auf al­len Stra­ßen durch den Rad­fah­rer freie, si­che­re Bahn fin­det.«

Die hier ge­nann­ten »stau­nen­den Aus­län­der« wa­ren die Be­su­cher der Olym­pi­schen Spie­le 1936, die mit­tei­len­de Be­hör­de das Reichs­ver­kehrs­mi­ni­ste­ri­um. Pi­kant an der Mit­tei­lung ist, dass of­fen­sicht­lich nicht der Rad­fah­rer vor dem Au­to (wel­ches zur da­ma­li­gen Zeit schon be­acht­li­ches Ge­wicht und Ge­schwin­dig­keit er­reicht hat­te) ge­schützt wer­den muss. Viel­mehr sah das Mi­ni­ste­ri­um die Ge­fähr­dung als vom Radl aus­ge­hend an.

Schilder, die einen benutzungspflichtigen Radweg anzeigen

Al­lein die­se Schil­der zei­gen ei­nen be­nut­zungs­pflich­ti­gen Rad­weg an

Zwei­fels­oh­ne gab es in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik um Grö­ßen­ord­nun­gen schwer­wie­gen­de­re ju­ri­sti­sche Alt­la­sten des 3. Rei­ches, die aus den deut­schen Ge­setz­bü­chern ge­tilgt wer­den muss­ten, und so über­leb­te die­se Re­ge­lung, oh­ne je­mals auf Sinn­haf­tig­keit über­prüft wor­den zu sein, lan­ge Zeit. Und in der Zwi­schen­zeit setz­te sich an­schei­nend die Mei­nung durch, dass durch die ent­spre­chen­den Re­geln dann doch der Rad­fah­rer vor dem Kfz ge­schützt wird, was zu gu­ter letzt dann auch of­fi­zi­el­le Les­art der zu­stän­di­gen Be­hör­den wur­de. Erst in den 990er Jah­ren des letz­ten Jahr­tau­sends wur­de die Be­nut­zungs­pflicht in Fra­ge ge­stellt, nach­dem vie­le Stu­di­en fest­ge­stellt hat­ten, dass die von ihr er­hoff­te Re­duk­ti­on von Fahr­rad­un­fäl­len nicht exi­stent war. Die Fol­ge des­sen war die sog. Rad­weg­no­vel­le von 1997. In ihr wur­den Nor­men für ver­schie­de­ne Qua­li­täts­merk­ma­le wie bei­spiels­wei­se Min­dest­brei­te und Be­schaf­fen­heit des Rad­we­ges fest­ge­legt. Aber die wich­tig­ste Än­de­rung in die­ser No­vel­le be­stand im erst­mals ko­di­fi­zier­ten Sinn ei­ner Rad­weg­be­nut­zungs­pflicht: Prin­zi­pi­ell ha­ben auch Rad­fah­rer die Fahr­bahn zu be­nut­zen.

Der zu­stän­di­gen (i.A. kom­mu­na­len) Be­hör­de wur­de auf­er­legt, ei­ne Rad­weg­be­nut­zungs­pflicht »nur dort an­zu­ord­nen, wo das auf­grund der be­son­de­ren Um­stän­de zwin­gend ge­bo­ten ist. Ins­be­son­de­re Be­schrän­kun­gen und Ver­bo­te des flie­ßen­den Ver­kehrs (ge­meint sind hier Rad­fah­rer, Anm. d. Red.) dür­fen nur an­ge­ord­net wer­den, wo auf­grund der be­son­de­ren ört­li­chen Ver­hält­nis­se ei­ne Ge­fah­ren­la­ge be­steht, die das all­ge­mei­ne Ri­si­ko ei­ner Be­ein­träch­ti­gung der in den vor­ste­hen­den Ab­sät­zen ge­nann­ten Rechts­gü­ter er­heb­lich über­steigt.«

Und da­mit sind wir wie­der in der Ama­li­en­stra­ße an­ge­kom­men: Die­se Stra­ße geht im gro­ßen und gan­zen schnur­ge­ra­de­aus, ist, trotz auf bei­den Sei­ten par­ken­der Au­tos, hin­rei­chend breit, dass ein­an­der ent­ge­gen­kom­men­de Au­tos pro­blem­los an­ein­an­der vor­bei­kom­men und ins­ge­samt gut ein­seh­bar. Das ist wohl kaum ei­ne durch »be­son­de­re ört­li­che Ver­hält­nis­se« be­stehen­de »Ge­fah­ren­la­ge«. Dies hat an­schei­nend auch die Stadt Fürth so ge­se­hen und die frü­her be­stehen­de Rad­we­ge­be­nut­zungs­pflicht auf­ge­ho­ben. Und so hat sie auch in vie­len an­de­ren Stra­ßen ge­han­delt und die run­den, blau­en Schil­der, auf de­nen ein wei­ßes Fahr­rad zu se­hen ist (und die al­lein ei­ne Be­nut­zungs­pflicht an­zei­gen), in gro­ßem Sti­le aus dem Stadt­bild ent­fernt.

Lie­be Au­to­fah­rer in der Ama­li­en­stra­ße: Ich möch­te das glei­che wie Sie, näm­lich zü­gig die Stra­ße ent­lang fah­ren. Bit­te gön­nen Sie mir und den an­de­ren Rad­fah­ren dies, zu­mal, sei­en wir mal ehr­lich, die Ver­zö­ge­rung durch das Über­ho­len ei­nes Rad­fah­rers im Se­kun­den­be­reich liegt.

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen bie­tet der Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel Rad­ver­kehrs­an­la­ge.

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6 Kommentare zu »Lie­be Au­to­fah­rer in der Ama­li­en­stra­ße«:

  1. Wenn ich mir die Au­tos hier in in un­mit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft zur Ama­li­en­stra­ße an­schaue: Mei­ne treue, al­te Renn­sem­mel scheint mir das ein­zi­ge Ve­hi­kel weit und breit zu sein, des­sen Schei­ben tat­säch­lich noch her­un­ter­kur­bel­bar sind. In all den an­de­ren ble­cher­nen Bür­ger­kä­fi­gen neue­rer Ge­ne­se wird al­len­falls noch ein Fin­ger ge­rührt, um das Glas zum Höh­nen und Schimp­fen her­ab­zu­las­sen...

    Dan­ke im Üb­ri­gen für die pro­fun­de ver­kehrs­recht­li­che Auf­klä­rung, das Feh­len der Rad­weg­schil­der war mir tat­säch­lich bis da­to noch nicht auf­ge­fal­len.

  2. Magnus Gertkemper sagt:

    In der On­line-Aus­ga­be der Süd­deut­schen Zei­tung gab es ge­stern ei­nen in­ter­es­san­ten Ar­ti­kel, über eben die­se Pro­ble­ma­tik, die Rad­we­ge­no­vel­le von 1997 und ein letz­ten Herbst er­gan­ge­nes Ur­teil.

  3. Rad­weg­be­nut­zungs­pflicht? Aber ger­ne!

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