Aphro­di­te und das He­fe­wei­zen

10. April 2011 | von | Kategorie: Spielplatz

Der Ka­chel­ofen hielt sich mit vier Säu­len und ei­nem Ofen­rohr an der Decke fest, konn­te man mei­nen. Aber es war um­ge­kehrt. Erst­mals ver­riet ich das Ge­heim­nis: Der grie­chi­sche Rie­se At­las stand hier ge­tarnt als Ka­chel­ofen zwi­schen den Ti­schen und trug den Him­mel auf sei­nen Schul­tern, am Ran­de der Er­de, kurz vor dem Gar­ten der Hes­pe­rie­den, ganz im We­sten der al­ten Welt, dort, wo vor­hin die Ve­nus ver­schwand.

Sandro Botticelli: Die Geburt der Venus (Quelle: Wikipedia)

San­dro Bot­ti­cel­li: Die Ge­burt der Ve­nus (Quel­le: Wi­ki­pe­dia)

»Hast Du sie ge­se­hen? Als ich zum Ca­fé lief, stand sie ganz hell im We­sten. Weißt Du, die Ve­nus hieß bei den Grie­chen noch Aphro­di­te. Aphro­di­tes Na­me soll von ei­nem alt­grie­chi­schen Wort für Schaum ab­ge­lei­tet sein, weil sie aus Mee­res­schaum ent­stan­den sein soll.«

In Flo­renz am Piaz­za del­la Signo­ria, hin­ter der Log­gia dei Lan­zi und dem Pa­laz­zo Vec­chio – die Ah­nen des Rat­hau­ses ne­ben dem Ca­fé – kann man Bo­ti­cel­lis Ve­nus in den Uf­fi­zi­en an­schau­en: Da ent­steigt ei­ne küh­le Blon­de – be­stimmt kei­ne Ita­lie­ne­rin – ei­ner Mu­schel am Mee­res­strand. Ir­di­sche Schön­heit als Al­le­go­rie der Himm­li­schen Lie­be, ver­su­chen uns die Kunst­hi­sto­ri­ker weis­zu­ma­chen. Aber die Rea­li­tät sieht an­ders aus. Tat­säch­lich ist Aphro­di­te aus Schaum ent­stan­den, das kann je­der nach­le­sen bei He­si­od, aus dem Schaum mei­nes He­fe­wei­zens.

Kachelofen im Café Fürst (Foto: Archiv Alexander Mayer)

Ka­chel­ofen im Ca­fé Fürst (Fo­to: Ar­chiv Alex­an­der May­er)

»Ja, und wie ist denn nun die­ser Schaum ent­stan­den? Al­so, lass es Dir er­zäh­len.«

Sie nick­te nach kur­zem Zö­gern lang­sam, aber we­nig be­deu­tungs­voll, ge­schwei­ge denn ver­hei­ßungs­voll. Ich ließ mich nicht be­ir­ren. Am An­fang war Him­mel und Er­de, das ken­nen wir ja al­le aus dem Re­li­gi­ons­un­ter­richt. Bei den al­ten Grie­chen wa­ren Him­mel und Er­de vor­zeit­li­che Le­be­we­sen, Ura­nos und Ga­ia, sie hat­ten ei­nen Sohn na­mens Kro­nos. Der muss­te sich von sei­ner Mut­ter Ga­ia stän­dig Kla­gen über den Va­ter an­hö­ren, der ei­ni­ge un­ap­pe­tit­li­che Un­ar­ten pfleg­te. Kro­nos, auch nicht ge­ra­de zart be­sai­tet, ent­mann­te Ura­nos auf Bit­ten sei­ner Mut­ter mit ei­ner Si­chel, als er auf Ga­ia lag. Sau­be­rer Schnitt, seit­dem sind Him­mel und Er­de ge­trennt. Kro­nos warf die ab­ge­schnit­te­ne Tei­le hin­ter sich, aus dem her­um­sprit­zen­den Blut ent­stan­den Fu­ri­en, di­ver­se Mon­ster und Nym­phen, was ja recht leicht nach­zu­voll­zie­hen war, sa­ßen näm­lich al­le hier im Ca­fé her­um.

Mei­ne Zu­hö­re­rin voll­zog die mir ge­schickt er­schei­nen­de Wen­dung der Er­zäh­lung an­schei­nend nicht so ganz mit und schau­te an­ge­strengt auf ei­nen fik­ti­ven Punkt hin­ter der The­ke ir­gend­wo zwi­schen Glä­sern und Spie­gel.

Kachelofen im Café Fürst (Foto: Archiv Alexander Mayer)

Ka­chel­ofen im Ca­fé Fürst (Fo­to: Ar­chiv Alex­an­der May­er)

Die be­sag­ten Tei­le des Ura­nos fie­len vom Him­mel und schlu­gen so­dann ins Meer, dar­aus bil­de­te sich der Schaum, aus dem dann Ve­nus ent­sprang. »Ja­wohl, aus Schaum. Die­ser per­len­de, be­tö­ren­de Schaum in mei­nem He­fe­wei­zen«.

Sie schau­te wie ein hyp­no­ti­sier­tes Ka­nin­chen, wink­te plötz­lich je­man­den zu, ob­wohl aus der Rich­tung gar nie­mand her­schau­te, ging zum Tisch beim Ka­chel­ofen, be­stell­te sich ei­nen Co­gnac und ver­nasch­te da­zu de­mon­stra­tiv ei­nen pu­ber­tie­ren­den Jüng­ling.

Mein in­tel­lek­tu­el­ler Quan­ten­sprung im Uni­ver­sum des Ca­fés und ein wei­te­res He­fe­wei­zen hat­ten die Raum-Zeit Struk­tur durch­schla­gen, und die­se Er­schüt­te­run­gen wa­ren eben zu­viel ge­we­sen. Nichts neu­es hier im Ca­fé.

Abbruch des Café Fürst (Foto: Archiv Alexander Mayer)

Ab­bruch des Ca­fé Fürst (Fo­to: Ar­chiv Alex­an­der May­er)

Ich blick­te er­war­tungs­voll auf den Schaum in mei­nem He­fe­wei­zen. Es pas­sier­te nichts. Kei­ne Aphro­di­te, kei­ne Ve­nus ent­stieg dem per­len­den Schaum: »Herr Wirt, wo ist denn die Ve­nus in mei­nem He­fe­wei­zen?«

Er lug­te in mein He­fe­wei­zen, schau­te mich an und gab sei­nen Da­men hin­ter dem Tre­sen die An­wei­sung: »Der be­kommt heu­te kein Bier mehr«.

Ich zahl­te, schwör­te nie wie­der die­ses Loch von ei­nem Ca­fé zu be­tre­ten, zu­min­dest an die­sem frü­hen Mor­gen nicht mehr, lug­te im Vor­bei­ge­hen in ei­ne kit­schi­ge Dis­co, oh Graus, stieg auf mein Fahr­rad, ein Klein­bus fährt ne­ben mir her, das Fen­ster wird her­un­ter­ge­kur­belt: »Fah­ren Sie doch mal rechts ‘ran bit­te...«

Über­schlä­gig hat­te ich so fünf He­fe­wei­zen ge­nos­sen, nichts ge­ges­sen, kein Grund zur Sor­ge, ich blies und wie ver­mu­tet: »O.K., 0,3 Pro­mil­le, Sie kön­nen wei­ter­fah­ren. Schö­nen Abend noch!«

Abbruch des Café Fürst (Foto: Archiv Alexander Mayer)

Ab­bruch des Ca­fé Fürst
(Fo­to: Ar­chiv Alex­an­der May­er)

Jetzt ließ ich das Fahr­rad ste­hen und hol­te ich mir noch ei­nen Dö­ner, schau­te in den Him­mel nach mei­nem ein­zi­gen Freund Ju­pi­ter, Gott sei Dank, da war er, er­schreck­te mit mei­ner Le­der­jacke noch ein paar Nacht­schwär­mer und bog in die Ziel­ge­ra­de ein, in ei­ne Stra­ße, in der ich noch nie auch nur ei­ne ein­zi­ge Blu­me ge­se­hen hat­te, nicht ein­mal ein Mau­er­blüm­chen, und den­noch hieß die­se Stra­ße... Wie hieß sie noch? Na, egal.

Aus ei­ner dunk­len Tor­ein­fahrt her­aus sprach mich ei­ne Halb­wüch­si­ge an und bot mir ir­gend­et­was an, was ich nicht ver­stand, ich ver­wies auf mei­nen Dö­ner: »Bin schon be­dient, dan­ke. In­ter­es­sierst Du Dich für grie­chi­sche My­tho­lo­gie?« Sie mein­te: »Klar, ko­stet aber ex­tra...«.

Ent­we­der läuft hier ir­gend­et­was falsch oder ich bin hier falsch, dach­te ich mir und trot­te­te wei­ter. End­lich an der ei­ge­nen Haus­num­mer an­ge­kom­men, schau­te ich mich vor­sich­tig um, weil die Toch­ter des Haus­her­ren die Tor­ein­fahrt re­gel­mä­ßig mit ei­ner Au­to­bahn­auf­fahrt ver­wech­sel­te, dann schlüpf­te ich ein­ge­denk des­sen schnell wie ein Wie­sel zur Trep­pe.

Ir­gend­je­mand ließ wie je­den Mor­gen lan­ge vor Son­nen­auf­gang un­ter mei­nem Fen­ster sei­nen Mo­tor warm­lau­fen. Die fah­le Win­ter­son­ne trieb mich dann voll­ends von der hel­len Nacht in die Dun­kel­heit des All­tags, bis abends wie­der das Ca­fé er­wach­te und ich in das war­me Licht am Tre­sen ein­tauch­te.

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